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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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plötzlich sichtbar gewordenes Muttermal. Daß es scheußlich aussähe, darüber waren wir uns beide einig, und Strickland fügte hinzu, ich sei ein Narr.
    »Ich kann dir jetzt noch nicht sagen, was ich denke«, fuhr er fort, »denn du würdest mich für verrückt halten; aber du mußt die nächsten paar Tage bei mir bleiben, wenn du irgend kannst! Bitte, beobachte Fleete, aber sprich nicht mit mir darüber, was du dir denkst, denn ich möchte mir meine eigene Meinung bilden.«
    »Aber heut abend esse ich außerhalb!« behielt ich mir vor. »Ich auch!« sagte Strickland. »Und Fleete hat dieselbe Absicht, vorausgesetzt, daß er sie inzwischen nicht geändert hat.«
    Dann schlenderten wir ein bißchen im Garten umher und rauchten stumm, denn wir waren Freunde, und Reden schmälert den Tabakgenuß, bis in unsern Pfeifen nur mehr Asche war. Hierauf beschlossen wir, Fleete zu wecken. Aber er war bereits wach. Lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab.
    »Es geht nicht so!« sagte er, als er uns eintreten sah. »Ich muß noch Koteletts haben! Kann ich welche kriegen?«
    Wir lachten. »Zieh dich lieber um, Fleete! Die Ponys werden gleich da sein.«
    »Schön«, sagte er. »Ich werde mich umkleiden, aber vorher muß ich noch Koteletts haben. Aber: halb roh, verstanden?!«
    Er schien es im Ernst zu meinen, trotzdem es erst vier Uhr war und wir um ein Uhr reichlich gefrühstückt hatten. Immer wieder und wieder verlangte er rohe Koteletts. Dann erst zog er seinen Reitanzug an und kam auf die Veranda. Aber auch das Pony wollte ihn nicht nahe kommen lassen. (Die Stute war noch immer nicht eingefangen.) Alle drei Tiere waren nicht zu bändigen und außer sich vor Furcht. Als alle Mittel vergeblich geblieben waren, die Ponys zu beruhigen, sagte Fleete schließlich, es sei das beste, er bliebe zu Hause und lasse sich wieder etwas zu essen geben. Strickland und ich ritten erstaunt fort. Als wir an dem Hanumantempel vorbeikamen, tauchte der Silberne auf und miaute uns an.
    »Er ist kein regulärer Priester des Heiligtums«, sagte Strickland. »Ich hätte große Lust, ihn verhaften zu lassen!«
    Es war kein rechter Schwung in unserm Galopp an jenem Abend: die Pferde griffen nicht ordentlich aus und schienen ermattet, als seien sie abgetrieben.
    »Der Schreck hat sie sehr hergenommen!« erklärte Strickland.
    Es war die einzige Bemerkung, die er während des Rittes fallenließ. Nur ein- oder zweimal hatte ich ihn fluchen hören, aber das war nichts Seltenes bei ihm.
    Es war bereits dunkel und etwa sieben Uhr, als wir wieder zu Hause anlangten. Zu unserm Erstaunen brannte nicht ein Licht in dem Bungalow. »Nachlässige Bande, diese Dienerschaft!« schimpfte Strickland.
    Da scheute mein Pferd vor etwas Schwarzem auf dem Weg, und gleich darauf tauchte Fleete dicht unter der Nase des Tieres auf.
    »Was kriechst du denn da im Garten herum?« fragte Strickland.
    Beide Pferde machten Miene auszubrechen und warfen uns beinahe ab; wir stiegen vor dem Stall aus den Sätteln und kehrten zu Fleete zurück, der zwischen den Orangebüschen auf Händen und Knien umherkroch.
    »Was, zum Teufel, ist denn los mit dir?« rief Strickland.
    »Nichts, gar nichts!« antwortete Fleete hastig, aber mit seltsam schwerer Zunge. »Ich – ich habe im Garten gearbeitet, botanisiert und so. Der – der Geruch der Erde ist entzückend. Ich möchte einen Spaziergang machen – einen langen Spaziergang, die ganze Nacht hindurch.«
    Ich begriff sofort, daß hier etwas über alle Maßen Ungewöhnliches vor sich ging, und sagte zu Strickland: »Ich werde doch lieber nicht auswärts speisen!«
    »Danke dir«, erwiderte Strickland kurz. »Heda, Fleete! Steh auf, du holst dir das Fieber. Komm hinein zum Essen. Wir wollen Licht machen lassen; wir essen heute zu Hause.«
    Fleete stand unwillig auf und knurrte: »Keine Lampen! Es ist viel schöner hier draußen. Essen wir doch hier! Mehr Koteletts – haufenweise, und – blutig und zäh!«
    Ein Dezemberabend im Norden Indiens ist schneidend kalt, und der Vorschlag Fleetes war der eines Wahnsinnigen.
    »Komm herein!« befahl Strickland in strengem Ton. »Komm augenblicklich herein!« Fleete gehorchte.
    Als die Lampen gebracht wurden, sahen wir, daß er buchstäblich von Kopf bis Fuß mit Schmutz bedeckt war; er mußte sich im Garten herumgewälzt haben. Er schrak vor dem Licht zurück und ging in sein Zimmer. Seine Augen waren schrecklich anzusehen; es glomm ein grünes Licht – nicht in ihnen, nein: hinter ihnen, – ich

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