Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
Vom Netzwerk:
als Polizeibeamter, seinen langen Aufenthalt in der Gegend und seine Vorliebe, sich unter die Eingeborenen zu mischen, war er den Priestern wohlbekannt, was ihm jetzt überaus peinlich wurde. Fleete saß auf der Erde, weigerte sich, aufzustehen, und brummte: »Der gute alte Hanuman – huck – ist ein vortreffliches Ruhekissen!«
    Da plötzlich – lautlos – stürzte aus einem Schlupfwinkel hinter der Bildsäule des Gottes ein silberner Mensch hervor. Er war vollkommen nackt, trotz der bitteren, grimmigen Kälte. Sein Körper schimmerte wie reifbedecktes Silber, denn er war, wie es in der Bibel steht, »ein Aussätziger, weiß wie Schnee. Er hatte kein Gesicht mehr, war seit vielen Jahren aussätzig, und das Übel lastete schwer auf ihm.« Wir bückten uns beide schnell, um Fleete wegzureißen, während der Tempel sich zusehends mit Menschen füllte, die wie aus dem Boden zu wachsen schienen, aber schon war der Silberne mit einem Ton, der dem Miauen einer Otter glich, unter unsern Händen durchgeschlüpft, hatte mit beiden Armen Fleete umfaßt und, ehe wir ihn fortstoßen konnten, seinen Kopf auf Fleetes Brust gepreßt. – Dann zog er sich in einen Winkel zurück und saß miauend da, derweil die Menge die Türen verrammelte.
    Die Priester schäumten vor Wut; erst als sie sahen, daß der Silberne Fleete berührt und sich an ihm gewetzt hatte, beruhigten sie sich.
    Nach einigen Minuten tiefsten Schweigens trat einer der Priester an Strickland heran und sagte in tadellosem Englisch: »Führen Sie Ihren Freund weg. Er ist mit Hanuman fertig, aber Hanuman nicht mit ihm.« Die Menge gab Raum, und wir brachten Fleete auf die Straße.
    Strickland war wütend. Er sagte, wir hätten alle drei leicht erstochen werden können, und Fleete solle sich bei seinem guten Stern bedanken, daß er mit heiler Haut davongekommen sei.
    Fleete fiel es natürlich gar nicht ein, sich zu bedanken. Nicht einmal bei uns. Er sagte, er wolle zu Bett gehen. Er war sinnlos betrunken.
    Wir schritten unseres Weges, Strickland ärgerlich und schweigsam. Dann wurde Fleete mit einemmal von Schüttelfrost und einem Schweißausbruch befallen. Er schimpfte, daß die Gerüche aus den Bazars nicht auszuhalten seien, und er wundere sich, daß man die Schlachthäuser so nahe den englischen Wohnungen dulde. »Riecht ihr denn das Blut nicht?« fragte er immer wieder und wieder.
    Endlich – die Dämmerung graute bereits – hatten wir ihn zu Bett gebracht. Strickland forderte mich auf, noch einen Whisky mit Soda mit ihm zu trinken; dabei kam er wieder auf den Skandal im Tempel zu sprechen und gab zu, daß ihn die Angelegenheit ganz aus der Fassung gebracht hätte. Es sei ihm im höchsten Grade widerwärtig, von Eingeborenen, mystifiziert zu werden – um so mehr, als es doch seine Aufgabe sein müsse, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Bis jetzt sei ihm das zwar nicht gelungen, aber in fünfzehn oder zwanzig Jahren hoffe er weiter zu sein.
    »Hätten sie uns lieber verprügelt, statt uns anzumiauen!« sagte er. »Ich möchte gern wissen, was das hat bedeuten sollen! Die Sache will mir nicht recht gefallen.«
    Ich gab der Meinung Ausdruck, die Priesterschaft werde wahrscheinlich Anklage erheben wegen Religionsstörung, denn es gäbe sicherlich eine Menge Paragraphen, die auf Fleetes Vergehen paßten. – Strickland meinte, wenn es damit sein Bewenden fände, wolle er von Herzen froh sein. Bevor ich ging, warf ich noch einen Blick in Fleetes Zimmer; er lag auf der rechten Seite und kratzte sich unaufhörlich an der linken Brust. Dann ging ich zu Bett, fröstelnd, bedrückt und verstimmt, um sieben Uhr morgens.
    Um ein Uhr ritt ich hinüber nach Stricklands Haus, um mich nach Fleetes Befinden zu erkundigen. Daß er Kopfschmerzen haben würde, nahm ich als selbstverständlich an. Er saß beim Frühstück und schien unwohl, war verdrossen und schimpfte auf den Koch, weil sein Kotelett nicht roh genug sei! Ein Mensch, der nach einer durchschlemmten Nacht Appetit hat auf rohes Fleisch, ist ein Kuriosum. Ich sagte das Fleete. Er lachte nur.
    »Eine sonderbare Art Moskitos züchtet ihr hier zu Lande«, sagte er nach einer Weile. »Ganze Stücke haben sie mir herausgebissen! Zum Glück nur an einer Stelle.«
    »Laß mal sehen!« meinte Strickland. »Das Jucken wird doch wohl schon nachgelassen haben?«
    Während die Koteletts zugerichtet wurden, öffnete Fleete sein Hemd und zeigte uns gerade über seiner linken Brust eine Verfärbung, die der schwarzen Rosette

Weitere Kostenlose Bücher