Durch den Sommerregen
schaffen.“
„Du hast doch nicht wegen mir deine Katze hungern lassen?“
Gabriel lächelt mich von der Seite an.
„Keine Sorge, Helena. Sie ist ein Freigänger und versorgt sich ganz gut selbst, aber einmal am Tag möchte sie doch etwas aus der Dose.“
„Wenn ich ehrlich sein soll, dann dachte ich, du lebst in deinem Bus.“
„Ich bin voller Überraschungen“, sagt er lachend und greift nach meiner unverletzten Hand. „Was genau hast du dir noch über mich in den Kopf gesetzt?“
Ich mag nicht der offenste Mensch sein, doch wenn mir jemand eine konkrete Frage stellt, bekommt er in der Regel auch eine ehrliche Antwort.
„Ich halte dich für einen Frauenheld, der zugegeben ziemlich charmant ist.“
Gabriel schiebt sich näher an mich. Ich spüre seinen Atem an meiner Wange und wage es nicht, zur Seite zu sehen.
„Und weiter?“, fragt er ganz leise direkt an meinem Ohr.
„Du bist nicht der Typ, der an einer Frau länger als ein paar Wochen interessiert ist.“
„Was noch?“ Jetzt stellt er seine Kaffeetasse ab und legt die freie Hand auf meinen Oberarm. Nur zu gut spüre ich die Hitze seiner Haut durch den dünnen Stoff meiner Bluse.
Alle Vorurteile, die ich mir mühsam über Männer wie ihn aufgebaut habe, entfallen mir gerade.
„War es das schon?“ Sein Atem an meiner Ohrmuschel beschert mir eine Gänsehaut.
Nur zur Sicherheit trete ich einen Schritt zur Seite und nicke. Immer noch halte ich mich krampfhaft an meinem Kaffee fest. Zum Glück ist nur meine linke Hand verletzt. Meine rechte Hand werde ich später benötigen.
„Du wolltest nach Hause?“
Es ist nicht meine Absicht, ihn rauszuschmeißen, doch wenn er nur eine Minute länger bleibt, bekommt mein Bett seine erste richtige Einweihung.
„Ich verstehe“, antwortet er grinsend. Ich bin erleichtert, dass er es mir nicht übel nimmt.
„Nachher schicke ich dir meine Adresse aufs Handy. Wenn du magst, dann komm später vorbei. Ich würde heute wirklich gerne noch mehr von dir sehen.“
„Ich überlege es mir.“
Zum Abschied umarmt er mich und küsst mich auf die Wange. Mein breites Grinsen und das mädchenhafte Quietschen kann ich gerade noch so lange unterdrücken, bis er die Haustür hinter sich zugezogen hat.
Die Anspannung im Haus meiner Eltern macht mich nervös. Eine solche Stimmung hat hier nicht immer geherrscht. Ich liebe meine Eltern, doch die beobachtenden und mitleidigen Blicke in den letzten zwei Jahren machen mich wahnsinnig. Es fühlt sich an, als würde jedes meiner Worte und Gesten analysiert. Meine Mutter scheint immer noch darauf zu warten, dass ich zusammenbreche und mein Vater lässt sich davon mitziehen.
„Warum hast du uns nicht angerufen?“, fragt meine Mutter mit vorwurfsvollem Unterton, als sie meine verbundene Hand begutachtet. Ich bin erstaunt, dass sie sich bis nach dem Essen zurückhalten konnte, um mich in die Mangel zu nehmen.
„Weil ich kein kleines Kind mehr bin und mich nur geschnitten habe. Mein Nachbar hat mich in die Notaufnahme gefahren. Keine große Sache.“
Die Identität meines Chauffeurs näher zu erklären, würde zu viele Fragen nach sich ziehen.
„Du könntest wenigstens Bescheid sagen.“
„Beim nächsten Mal.“
Völlig entnervt lasse ich meine Mutter mit dem Abwasch in der Küche zurück und geselle mich zu meinem Vater auf die Terrasse. Noch bevor ich mich hinsetze, schnappe ich ihm die gerade angezündete Zigarette aus der Hand und nehme einen tiefen Zug.
„Ich dachte, du hast aufgehört?“
Seufzend lasse ich mich neben ihn auf die kleine Holzbank sinken und strecke die Beine vor mir aus. Mein Vater zündet sich eine neue Zigarette an und sieht mich abwartend von der Seite an.
„Hab ich auch.“
„Sie meint es nur gut, Lena.“ Die ultimative Ausrede aller überbehütenden Eltern.
„Das weiß ich, Papa. Aber vielleicht kannst du ihr ja endlich mal klar machen, dass ich mich nicht aufhänge, nur weil mein Ehemann sein Auto vor einen Baum gesetzt hat.“
„Tust du nicht? Woher sollen wir das wissen? Du redest ja nicht mehr mit uns. Seit dem Unfall machst du total zu.“
Natürlich tue ich das. Niemand würde die damaligen Begleitumstände verstehen. Wenn ich erzählen würde, wie es wirklich war und meine echten Gefühle deutlich machen müsste, dann würde mich jeder mit ganz anderen Augen sehen. Ich hab kein Vergnügen daran, die trauernde Witwe zu spielen, aber die andere Alternative ist noch weniger verlockend.
„Was soll ich denn dazu sagen?
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