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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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darüber nachgedacht, warum sie so etwas fragte. Aber das Unwahrscheinliche war nur unwahrscheinlich, nicht unmöglich. Er war tot. Er hatte keine Schuld, sie hatte keine Schuld, das Leben war der Kunstfehler.
     
    Ihr Oberkörper schaukelte unentwegt hin und her. Vielleicht war das Schaukeln die einzige Möglichkeit, den Stillstand der Zeit nicht in eine Leichenstarre zu überführen. Felix’ Vater war tot, und Felix wusste es noch nicht und würde es nicht verstehen, weil man den Tod nicht verstehen kann, selbst wenn man ihn sich schon einmal gewünscht hatte.
    Bald würde sie ihn aus dem Kindergarten abholen müssen,und bis dahin musste etwas passieren, sonst würde sie das nicht schaffen.
    Wie sagt man seinem Sohn, dass sein Vater gestorben ist, der einem gerade noch ein Brot geschmiert hat, wie sagt man es, ohne die Tapfere zu spielen, die man nicht ist, und ohne die Verzweifelte zu sein, die man nicht sein darf, weil sonst er der Tapfere sein muss?
    Ihr Oberkörper schaukelte hin und her.
     
    Großmutter sagte, sie mache jetzt einen Tee, und ging in die Küche. Albert kniete sich vor sie hin und schluchzte. Sie strich ihm über den Kopf wie einem kleinen Kind.
    Großmutter schien extra mit dem Geschirr zu klappern, als ob man den Tod noch vertreiben könnte; vielleicht versuchte sie auch, die Trauer einzuschüchtern. Beides war sehr unpassend und sehr laut.
    Sie wusste nicht einmal, wie er beerdigt werden wollte. Die ganze Verwaltung des Todes kannte sie nicht, ihre Eltern waren auf einer Reise gestorben, damals, als sie noch gar nichts davon mitbekommen hatte. Sie hatte ihre Großeltern gehabt. Und Felix, Felix hatte jetzt keinen Vater mehr, nur eine Erinnerung, die es ihm schwermachen würde. Sie hatte immer gedacht, mit Felix könne nicht wirklich etwas schiefgehen, weil er einen solchen Vater hatte.
    »Sollen wir in die Kanzlei fahren?« fragte Großvater jetzt.
    Wozu, dachte sie, sie würde es auch nicht glauben können, wenn er vor ihr lag. Eduard war tot, sie zweifelte nicht daran, nicht eine Sekunde hatte sie an der Nachricht gezweifelt, und gleichzeitig würde sie nie ausdrücken können, wie es sich anfühlte, weil es sich jetzt schon anders anfühlte als alles andere davor.
    »Soll ich zu ihm fahren?« fragte Großvater jetzt.
    Sie nickte.
    Großvater stand auf, strich ihr übers Haar und ging.
     
    Jetzt war sie mit Albert allein. Albert setzte sich neben sie auf den Platz, auf dem Großvater gesessen hatte.
    »Vera ...«, fing er an.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Vera würde alles für dich tun«, sagte Albert, »und ich auch, ich will nur, dass du das weißt.«
    »Hast du ihn denn umgebracht?« fragte sie leise, wie in Trance.
    Albert schaute sie entgeistert an: »Eduard?«
    »Eduard.«
    »Siri, komm zu mir, mein Kleines«, sagte er, beugte sich zu ihr und schüttelte sich in einem erneuten Tränenausbruch.
     
    Großvater war eine Eiche und Albert eine Zitterpappel, aber in seinen zittrigen Armen konnte sie wieder schreien, und sie schrie, bis sie nicht mehr konnte, bis ihre Stimme versagte: »Felix! Eduard! Felix!«
    Ein Teil von ihr schrie nicht, ein Teil von ihr beobachtete das Schreien, das war der gefährliche, den Teil durfte Felix nicht sehen.
    »Was sage ich ihm? Wie mache ich das? Wie wird er das überstehen?« flüsterte sie mit heiserer Stimme.
     
    Albert schwieg, versuchte nicht einmal zu antworten. Großmutter kam mit dem Teetablett zurück, das unberührt stehenblieb.
    »Wo ist Vera?« fragte Großmutter dann. »Wir brauchen sie hier. Wir brauchen jetzt jeden, der helfen kann. Und Vera kann es am besten von uns.«
    »Ich weiß es nicht, sie ist früh aus dem Haus gegangen«, sagte Albert.
    Großmutter setzte sich neben sie und hielt ihre Hand nun ganz fest. Jetzt kam das, was sie fürchtete, seit Großmutter die Szene betreten hatte: »Das ist ganz, ganz furchtbar, aber du musst jetzt stark sein, stark und tapfer, wir müssen alle an Felix denken, ihn trifft es am härtesten.«
    Sie nickte, obwohl sie Großmutters Griff am liebsten abschütteln wollte und aus dem Zimmer rennen, zu Alison oder zu Friederike, zu jemandem, der nicht von Tapferkeit sprach, sondern mit in den Kindergarten ging und die richtigen Worte kannte.
    Sie nahm das Buch, das noch von gestern Abend auf dem Sofa lag, schmiss es gegen die Wand und murmelte: »Entschuldigung.«
    Großmutter verfolgte ihren Ausbruch mit gefasstem Blick, dann sagte sie: »Wir brauchen Valium, ich komme gleich wieder, wir brauchen

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