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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Gläser?«
    Herr Murry tranchierte den Truthahn, Frau Murry dickte die Soße ein, Meg rührte den Puddingguß an, und die Zwillinge und Charles Wallace trugen die Schüsseln und Teller mit dem Reis, dem Gemüse, den Preiselbeeren und den anderen Zutaten auf. Nur Frau O’Keefe rührte keinen Finger. Sie starrte lange auf ihre abgearbeiteten Hände und ließ sie schließlich in den Schoß sinken. » In der Stunde, die alles entscheiden kann… «
    Diesmal kümmerte sich keiner um sie.
    Sandy versuchte zu scherzen. »Erinnert ihr euch noch, wie Mutter in der Bratpfanne über dem Bunsenbrenner Kekse backen wollte?«
    »Sie waren genießbar«, stellte Dennys fest.
    »Für dich, denn du bist ja ein Allesfresser und immer hungrig.«
    »Stimmt. Ganz besonders jetzt.«
    Als alle um den Tisch versammelt waren, streckte sie automatisch die Arme aus, und alle faßten einander an den Händen, sogar Frau O’Keefe, die zwischen Meg und Herrn Murry stand.
    »Singen wir Dona nobis pacem !« schlug Charles Wallace vor. »Darum beten wir doch jetzt alle.«
    »Sandy fängt an«, sagte Meg. »Er hat die schönste Stimme. Dann Dennys und Mutter, dann du und Vater, und zuletzt ich.«
    Sie sangen den alten Kanon; immer und immer wieder: Gib uns Frieden! Gib uns Frieden! Gib uns Frieden! Megs Stimme zitterte, aber sie hielt bis zum Ende durch.
    Schweigend füllten sie die Teller, statt wie sonst unbeschwert zu plaudern.
    »Ist es nicht seltsam«, sagte Herr Murry, »daß uns ein beliebiger südamerikanischer Diktator in einem so gut wie unbekannten Zwergstaat vor die letzte Entscheidung stellen kann? – Helles Fleisch für dich, Meg?«
    »Bitte auch dunkles. – Und welche bittere Ironie, daß er das ausgerechnet zu Thanksgiving tut, dem Fest der Demut und Dankbarkeit.«
    Frau Murry sagte: »Das erinnert mich an etwas, das mir meine Mutter einmal erzählt hat. Vor vielen Jahren, mitten im Frühling, verschärften sich die Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion in einem solchen Maß, daß alle Experten spätestens bis zum Sommer den Ausbruch eines Atomkrieges vorhersagten – und nicht etwa bloß die Scharfmacher und Pessimisten, nein, das galt als eine völlig nüchterne Einschätzung der Lage. Und Mutter sagte, damals sei sie an den Weiden am Weg vorbeigekommen und habe sich gefragt, ob die noch einmal Palmkätzchen tragen würden. Und seitdem habe sie Frühling um Frühling auf sie gewartet und ihr Aufblühen nie mehr als etwas Selbstverständliches angesehen.«
    Herr Murry nickte. »Damals entspannte sich die Situation unerwartet. Vielleicht auch diesmal.«
    »Ist das nicht eher unwahrscheinlich?« Sandys Blick war ernst.
    »Nicht unwahrscheinlicher als seinerzeit. Und trotzdem sind die Palmkätzchen damals davongekommen – jedenfalls bis heute.« Dennys bot Frau O’Keefe die Preiselbeeren an.
    » In der Stunde, die alles entscheiden kann «, murmelte sie und winkte ab.
    Er lehnte sich zu ihr. »Wie war das?«
    » In der Stunde, die alles entscheiden kann… «, flüsterte sie verwirrt. »Will mir nicht einfallen. Ist aber wichtig. Kennt ihr’s nicht?«
    »Leider nein. Was ist es?«
    »Die Rune. Patricks Rune. Jetzt brauch ich sie.«
    Calvins Mutter war immer maulfaul gewesen. Zuhause verständigte sie sich meist nur durch Grunzen. Mit Ausnahme von Calvin waren ihr alle Kinder nachgeraten, denn sie hatten bis zu ihrem Schuleintritt kaum je einen ganzen Satz zu hören bekommen. »Meine Großmutter. Aus Irland.« Sie zeigte mit dem Finger auf Charles Wallace und stieß dabei ihr Glas um.
    Dennys holte Papiertaschentücher und tupfte den verschütteten Wein auf. »In kosmischen Dimensionen gesprochen«, sagte er, »macht es wahrscheinlich ohnedies kaum einen Unterschied, ob unser zweitrangiger Planet in die Luft geht oder nicht.«
    »Dennys!« rief Meg und wandte sich zu Frau Murry. »Verzeih, wenn ich jetzt ausgerechnet dieses Beispiel nehme, aber, Den, erinnerst du dich noch daran, wie Mutter die Farandolae in den Mitochondrien isolierte?«
    Er schnaubte. »Dumme Frage. Wofür hat sie denn den Nobelpreis bekommen?«
    Frau Murry hob abwehrend die Hand. »Laß Meg aussprechen.«
    »Danke. Also: Die Farandolae sind so klein und unauffällig, daß man ihnen nicht die geringste Bedeutung zutrauen würde. Und doch leben sie mit ihren Mitochondrien in einer Symbiose…«
    »Ich sehe schon, worauf du hinauswillst. Und die Mitochondrien bestimmen unseren Energiehaushalt. Wenn daher unseren Farandolae etwas zustößt, wirkt sich das

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