Durch Zeit und Raum
sobald – sobald sich die Entwicklung abschätzen läßt. So oder so.«
»In spätestens vierundzwanzig Stunden.«
»Ja. Ich möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken.«
»Oder in unserer«, sagte Dennys. »Wenn man es genau betrachtet, geht es nämlich für uns alle um die Wurst.«
Charles Wallace spähte wieder durch die Ritzen im Fensterladen. »Es hat aufgehört zu schneien. Der Wind hat nach Nordwest gedreht. Die Wolken verziehen sich rasch. Ich kann schon den ersten Stern sehen.« Er ließ die Gardine aus der Hand gleiten.
Frau O’Keefe reckte ihm das Kinn entgegen. »Du!« knurrte sie. »Chuck. Wegen dir bin ich gekommen.«
»Warum, Mom?« fragte er leise.
»Du weißt schon.«
Er schüttelte den Kopf.
»Halt ihn auf, Chuck. Diesen Mad Dog Bran-Bran… – halt ihn auf.«
Sie sah greisenalt und schwach aus, und Meg fragte sich, woher Frau O’Keefe die Kraft genommen hatte, ihr so schmerzhaft an die Schulter zu fassen. Und bereits zweimal hatte sie Charles Wallace Chuck genannt! Das hatte noch nie jemand getan; bestenfalls beließ man es bei Charles, und schon Charlie war verpönt, geschweige denn Chuck .
»Wie wär’s mit Tee? Oder Kaffee?« fragte Frau Murry.
Frau O’Keefe schnaubte, aber keineswegs zornig. »Schon gut. Nur nichts hören wollen. Glauben, ich spinne. Tu ich aber nicht. Bin nicht so blöd, wie ihr glaubt. Chuck weiß das ganz gut.« Sie nickte Charles Wallace zu. »Heut morgen wach ich auf und denk mir: Du gehst nicht zu denen. Dann sagt mir was da drinnen: Du mußt hin, ob du magst oder nicht. Ich frag mich selbst, warum – bis ich deine großen, alten Augen seh. Da fällt mir auf einmal die Rune wieder ein. Und: der Chuck ist ja doch kein Idiot. Hab sie vergessen, die Rune. Seit Großmutter. Und Chuck. Bis heute. Jetzt hast du sie, Chuck. Nimm sie. Nütz sie.« Sie keuchte und bekam keine Luft mehr. Noch nie hatten die Murrys sie so lange und zusammenhängend sprechen gehört. »Ich will nach Haus!« knurrte sie erschöpft, und weil keiner ihr antwortete, grunzte sie:
»Wer bringt mich heim?«
»Aber Frau O’Keefe!« protestierte Dennys. »Jetzt kommt erst der Salat – haufenweise Avocados und Tomaten —, und hinterher zünden wir den Plumpudding an.«
»Zünd dich selber an!« schimpfte sie. »Ich bin los, was ich loswerden wollte. Jetzt will ich nach Haus!«
»Wenn’s denn sein muß…« Herr Murry stand auf. »Den, Sandy? Wer von euch bringt Frau O’Keefe zurück?«
»Ich«, sagte Dennys. Er brachte ihren Mantel.
Als der Wagen fort war, sagte Sandy: »Beinahe hätte ich sie ernst genommen.«
Die Eltern blickten einander zögernd an, dann erwiderte Frau Murry: »Ich nehme sie ernst.«
»Jetzt komm aber, Mutter! Was soll das blöde Zeug mit der Rune – und daß Charles Wallace diesen Mad Dog Branzillo im Alleingang von seinen Plänen abhalten soll?«
»Das weiß ich auch nicht. Trotzdem nehme ich Frau O’Keefe ernst.«
Meg wandte sich an Mutter, schaute dabei aber neugierig Charles Wallace an. »Du hast ja schon immer behauptet, daß in ihr mehr steckt, als man ihr anmerkt. Ich glaube, heute hat sie uns eine Kostprobe davon gegeben.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Vater zu.
»Ich bitte euch! Was habt ihr denn bloß? Das Ganze war – nun, einfach unnatürlich.«
»Und was ist natürlich?« fragte Charles Wallace.
Sandy schnitt eine Grimasse. »Okay, mein kleiner Bruder, dann schieß los! Verrate uns, wie du Branzillo ins Handwerk pfuschen wirst.«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Charles Wallace ernst. »Ich werde es mit der Rune versuchen.«
»Hast du sie dir gemerkt?« fragte Meg.
»Ja.«
»Und hast du gehört, wie sie dich Chuck genannt hat?«
»Ja.«
»Aber keiner hat jemals Chuck zu dir gesagt. Wo hat sie das her?«
»Das kann ich nur vermuten. Vielleicht – vielleicht aus ihrer Vergangenheit.«
Das Telefon läutete, und alle erschraken. Herr Murry eilte an den Apparat, zögerte aber dann, ehe er abhob.
Es war nicht der Präsident, sondern Calvin, der aus London anrief. Er sprach kurz mit jedem: Wie schade, daß er nicht daheim sein konnte; wie schön, daß dafür seine Mutter gekommen war; sein Vortrag war auf großes Interesse gestoßen; ja, auch der Kongreß war sehr interessant. Zuletzt ließ er noch einmal Meg an den Hörer kommen, sagte nur: »Ich liebe dich!« und hängte auf.
»Ich bin immer ganz nervös, wenn ein Ferngespräch kommt«, stammelte sie. »Also glaube ich nicht, daß er mir etwas angemerkt hat. Und es wäre
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