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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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aus wie du, Big-Jimmy.«
    »Das ist nicht Marihuana-Joe«, sagte Big-Jimmy, der sich in seinem Fauteuil vorgebeugt hatte, »das ist Alaska-Pint. Jetzt gibt es drei Big-Jimmys.« Er sprang auf, so heftig, daß der Fauteuil umfiel.
    »Doc, wo ist Doc?« schrie er. »Schon lange hab ich ihn nicht mehr gesehen. Uns alle will er wie mich machen, ein Syndikat 113
    aus lauter Big-Jimmys. Wozu? Um das Syndikat zu liquidieren! Auf wessen Befehl? Steckt der Große Alte dahinter? Wer ist das überhaupt? Es weiß niemand, wie er aussieht und niemand, ob es ihn gibt, am wenigsten der krausbärtige Neandertaler. Der ist nur ein Amateur, und mit dem Großen Alten meint er bloß Gott.«
    Alle sprangen hoch, teils um die Waffen vom Weihnachtsbaum zu reißen, teils um Moses Melker zu ergreifen, Baby Hackmann zuerst, jetzt würde er zudrücken, aber vom Ausgang her rollte ein Weinfaß aus der Dorfpinte, und wie Big-Jimmy, die Wahrheit ahnend, zum Ausgang rannte und dem Schnapsfaß ausweichen mußte, das dem Weinfaß nachrollte, stand er im Ausgang aufs neue sich selber gegenüber, Marihuana-Joe, der ihn haßerfüllt mit gezücktem Revolver fixierte, und so plötzlich donnerte hinter seinem Rücken die Explosion los, daß er auf sein Ebenbild und dieses auf den Boden geworfen wurde, und fast gleichzeitig fühlte er, auf Marihuana-Joe hingeschmettert, wie Zähne mit der Mordlust eines Racheengels seinen Hintern zu zerfetzen begannen, und wie ihn und Marihuana-Joe die prasselnden Flammen verschlangen, hörte er noch von Ferne die Stimme des Gemeindepräsidenten, »Mani, laß los, Mani, loslassen!
    Teufel, wenn der Hund sich wieder verbeißt, verbrennt er mir noch.« Eine Lichtflut tauchte den Lastwagen in grelles Licht, aus dem nun Fässer rollten, die wiederum von Feuerwehrmännern in alten schwarzroten Uniformen und Helmen in das Portal gerollt wurden, rhythmisch schreiend, eine Explosion erschütterte die Nacht, immer weitere Explosionen, eine Stichflamme schoß in den Himmel, die Sterne verschwanden, das ganze Kurhaus stand mit einem Mal in Flammen, umringt von der Motorspritze, von Traktoren, von Bauern, bewaffnet mit Heugabeln und Äxten, wie sie gebraucht werden, Bäume zu fällen, aus dem Portal rannte der Hund mit brennendem Fell, 114
    wälzte sich am Boden, aus dem Portal stürzten Männer, die Feuerwehr richtete ihre Wendrohre, spritzte die wieder hinein, die sich retten wollten, im Innern immer wieder Explosionen der Waffenlager, die Weiber bedienten wie verrückt die Motorpumpe, kreischend die Witwe Hungerbühler, sinnlos ihren Zorn über die nie beantworteten Briefe abreagierend, die Feuerwehrmänner spritzten und spritzten, ihre Wasserlanzen trieben Gestalten vor sich her, sie überschlugen sich, wurden durch die Kraft des Wasserstrahls wie Pakete ins Feuer zurückgeworfen, der Wald, der Himmel nahmen die Farbe der Hölle an, jemand vermochte sich zu befreien, lief mit lichterloh brennenden Kleidern den Bauern entgegen, einer von ihnen schlug mit der Axt zu, der Mann stürzte zu Boden, immer noch in Flammen, drei Bauern schoben ihre Heugabeln unter den brennenden schreienden Mann, trugen ihn gegen das Kurhausportal, warfen ihn hinein, flüchteten zurück, das Kurhaus begann in sich zusammenzubrechen, die Bauern und Weiber stoben auseinander, Lustenwyler, der Polizist, raste in seinem Jeep herbei, aber offenbar stockbetrunken, war er über das Steuerrad gesunken und fuhr durch das Portal, das über ihm zusammenstürzte, und die Dependance, von der Feuerglut erfaßt, die sie durch den unterirdischen Verbindungsgang ansog, loderte auf, eine einzige Flamme. Nun begann auch der Wald zu brennen, der Föhnsturm hatte alles ausgetrocknet, das Feuer fraß den Wald. Die Bauern wichen zurück. Irgendwo war der Schulmeister zu hören, hinter den Flammen oder schon in den Flammen: »Da sprühen Funken in der Nähe wie ausgestreuter goldner Sand, doch schau: In ihrer ganzen Höhe entzündet sich die Felsenwand.« Der Westturm fiel in sich zusammen. Auf einer Terrasse des Kurhausdaches schrien von Kücksen, Oskar und Edgar um Hilfe.
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    Von unten schossen an der Fassade des Ostturms die Flammen hoch. In einer Ecke des Turmzimmers saß Moses Melker auf dem Fußboden, die Hände um die angezogenen Knie gefaltet. Neben ihm sein Manuskript ›Preis der Gnade‹
    und die Uhr mit dem einzigen Zeiger, der bei Melkers Alter stehengeblieben war. Vor ihm der Tisch mit den drei Stühlen, hinter ihm das Fenster. Auf dem Tisch ein Paket Kaffee

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