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Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Chemiker fast gleichzeitig. »Noch nicht«, antwortete der Kybernetiker. Eine Pause trat ein. Der Ingenieur und der Doktor hatten sich noch nicht geäußert. »Ich denke, wir sollten fliegen«, sagte der Ingenieur schließlich. Alle sahen ihn verblüfft an.
    Als das Schweigen andauerte - als erwarteten alle eine Erklärung von ihm -, sagte er: »Vorher war ich anderer Meinung. Aber es geht um den Preis. Ganz einfach um den Preis. Zweifellos könnten wir noch viel erfahren, aber der Preis dafür könnte zu hoch sein. Für beide Seiten. Nach allem, was geschehen ist, halte ich die friedlichen Versuche einer Verständigung, einer Anknüpfung von Kontakten für irreal. Abgesehen von dem, was wir uns hier gesagt haben, hat wohl jeder, ganz gleich, ob er es wollte oder nicht, eine eigene Auffassung von dieser Welt. Auch ich hatte eine. Mir schien, dass hier ungeheuerliche Dinge geschehen und dass wir deshalb eingreifen sollten. Solange wir Robinsone waren und jedes Stückchen Erde mit der Hand bewegen mussten, habe ich nichts davon gesagt. Ich wollte warten, bis ich mehr erfahre und wir unsere technischen Mittel zur Verfügung haben. Jetzt muss ich bekennen, dass ich keinen überzeugenden Anlaß sehe, meine Ansichten über Eden zu ändern. Und jede Intervention im Dienste desssen, was wir für gut und richtig halten, jeder Versuch dieser Art würde höchstwahrscheinlich genauso enden wie unser heutiger Ausflug. Mit dem Gebrauch des Annihilators. Natürlich werden wir immer die Rechtfertigung finden, dass es Notwehr gewesen sei und so weiter, aber anstatt Hilfe werden wir Vernichtung bringen. So, das wäre alles.« »Wenn wir nur einen besseren Einblick in das bekämen, was hier wirklich geschieht!« Der Ingenieur schüttelte den Kopf. »Dann wird sich herausstellen, dass jede Seite >ihre Gründe< hatte . . «
    »Was macht das schon, dass Mörder >ihre Gründe< haben?« warf der Chemiker ein. »Nicht ihre Gründe werden uns interessieren, sondern unsere Rettung.« »Aber was können wir ihnen außer dem Annihilator des Beschützers anbieten? Nehmen wir an, wir äschern den halben Planeten ein, um diese Ausrottungsaktionen, diese unbegreifliche >Produktion<, diese Jagden und Vergiftungen einzudämmen - was dann?« »Wir könnten diese Frage beantworten, wenn wir mehr Kenntnisse besäßen«, beharrte der Chemiker. »Das ist nicht so einfach«, entgegnete der Koordinator. »Alles, was hier geschieht, ist ein Glied in der Kette eines langwierigen historischen Prozesses. Der Gedanke an Hilfe resultierte aus der Annahme, die Gesellschaft teile sich in >Gute< und in >Böse<.« »Stopp!« rief der Chemiker. »Sag lieber: in Verfolgte und Verfolger. Das ist nicht dasselbe.«
    »Einverstanden … Stell dir vor, zum Zeitpunkt der Religionskriege, vor mehreren hundert Jahren, sei eine hochentwickelte Rasse auf die Erde gekommen und habe sich in den Konflikt auf der Seite der Schwachen einmischen wollen. Gestützt auf ihre Macht, verbieten sie das Verbrennen von Ketzern, verbieten sie die Verfolgung der Andersgläubigen und so weiter. Glaubst du, sie hätten ihren Rationalismus auf der Erde verbreiten können? Damals war doch fast die ganze Menschheit gläubig, sie hätten sie nach und nach bis zum letzten Menschen ausrotten müssen und wären mit ihren rationalen Ideen allein geblieben!« »Was dann, glaubst du wirklich, dass keine Hilfe möglich ist?« rief der Chemiker entrüstet.
    Der Koordinator sah ihn lange an, ehe er antwortete: »Hilfe, mein Gott, was bedeutet Hilfe? Das, was hier geschieht, was wir hier sehen, ist das Ergebnis eines bestimmten gesellschaftlichen Aufbaus. Man müsste ihn umstürzen und müsste einen neuen, besseren schaffen. Wie sollen wir das machen? Es sind doch Wesen mit einer anderen Physiologie, mit einer anderen Psychologie, sie haben eine andere Geschichte als wir. Du kannst hier nicht das Modell unserer Zivilisation einführen. Du müßtest den Plan einer anderen entwerfen, die auch noch nach unserem Abflug funktionierte. Natürlich habe ich seit längerer Zeit angenommen, dass sich einige von euch mit solchen Gedanken herumtragen, wie sie der Ingenieur und der Chemiker äußerten. Ich glaube, dass auch der Doktor dieser Meinung war und deshalb Wasser auf das Feuer verschiedener von der Erde herrührender Analogien goß -stimmt’s?« »Stimmt«, sagte der Doktor. »Ich befürchtete, ihr würdet in einem Anfall von Edelmut hier >Ordnung< machen wollen, was, in die Praxis übertragen, Terror bedeutet

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