Eden
kraftlose Masse gestoßen worden. Aus der Nähe stellte er fest, dass er sich geirrt hatte. Ein graugrüner, dünnwandiger Nabelfortsatz ragte unter den Hautfalten aus dem Körper. Das Metallröhrchen, dessen langes, gebogenes Ende der Buckel des Toten verbarg, war damit verbunden. Der Doktor berührte es zuerst behutsam, dann zog er daran. Er beugte sich noch weiter vor und entdeckte, dass die Metallmündung, die durch die darübergezogene Haut hindurchschimmerte, mit ihr wie durch eine Naht von kleinen, nebeneinander glänzenden Perlen zusammengehalten wurde. Eine Weile überlegte er, ob er nicht das Röhrchen mit dem Fortsatz abschneiden sollte. Langsam griff er nach dem Messer in der Tasche, immer noch unentschlossen, aber als er sich aufrichtete, fiel sein Blick auf das flache Gesichtchen, das sich in unnatürlicher Haltung an die Grubenwand lehnte, und er stutzte. Dort, wo bei dem Geschöpf, das er in der Rakete seziert hatte, die Nase saß, hatte dieses ein breit geöffnetes, blaues Auge, das ihn mit stummer Gewalt anzuschauen schien. Er hob den Blick. »Was gibt es da?« hörte er den Koordinator fragen, sah seinen Kopf, schwarz vor dem Hintergrund der Wolken, und begriff, weshalb sie das von oben nicht bemerkt hatten: Das Köpfchen war an die Wand gelehnt, und man musste sich dort befinden, wo er stand, um es gerade anzuschauen.
»Hilf mir heraus«, sagte er und stellte sich auf die Zehenspitzen. Er ergriff die hingehaltene Hand des Koordinators, der ihn am Kragen seiner Kombination packte und mit Hilfe des Chemikers hochzog. Er sah die beiden aus zusammengekniffenen Augen an. »Wir verstehen nichts davon«, sagte er. »Habt ihr gehört? Nichts. Gar nichts!« Leiser fügte er hinzu: »Ich konnte mir bisher überhaupt keine Situation vorstellen, in der ein Mensch gar nichts, aber auch wirklich gar nichts begreift.« »Was hast du gefunden?« fragte der Chemiker. »Sie unterscheiden sich tatsächlich voneinander«, sagte der Doktor, während sie zum Geländewagen gingen. »Die einen haben Finger, die anderen keine. Die einen haben eine Nase, dafür kein Auge, andere haben ein Auge und wiederum keine Nase. Die einen sind größer und dunkler, die anderen sind weißer und haben einen etwas kürzeren Rumpf. Die einen …« »Was macht das schon«, unterbrach ihn der Chemiker ungeduldig. »Auch die Menschen haben verschiedene Rassen, verschiedene Züge, eine unterschiedliche Hautfarbe. Und was gibt es hier, was du nicht begreifen kannst? Hier geht es um etwas anderes, nämlich darum, wer diese scheußlichen Schlächtereien anstellt und zu welchem Zweck.« »Ich bin mir gar nicht so sicher, dass hier gemordet wurde«, erwiderte der Doktor leise, den Kopf gesenkt. Der Chemiker betrachtete ihn verblüfft. »Wassoll das … Was hast du?« »Ich weiß nichts«, sagte der Doktor mit einiger Überwindung. Mechanisch wischte er sich mit dem Taschentuch den Lehm von den Händen. »Eins weiß ich aber bestimmt.« Er richtete sich plötzlich auf. »Erklären kann ich es nicht, aber diese Unterschiede sehen mir nicht wie Rassenunterschiede innerhalb einer Gattung aus. Augen und Nase, der Geruchsund der Gesichtssinn sind dafür zu wichtig.« »Es gibt auf der Erde Ameisen, die sich noch mehr spezialisiert haben. Die einen haben Augen, die anderen keine, die einen können fliegen, die anderen können nur laufen, die einen sind Näherinnen, die anderen sind Krieger. Wünschst du, dass ich dir Biologieunterricht erteile?« Der Doktor zuckte mit den Schultern. »Für alles, was geschieht, hast du ein fertiges Schema, das du von der Erde mitgebracht hast. Wenn eine Einzelheit, eine Tatsache da nicht hineinpaßt, verwirfst du sie einfach. Ich kann dir das in diesem Augenblick nicht beweisen, aber ich weiß einfach, dass das weder mit Rassenmerkmalen noch mit spezialisierter Unterscheidung der Art etwas zu tun hat. Könnt ihr euch an das Bruchstück, an das Rohrende, an das Ende der Nadel erinnern, das ich bei der Sektion fand? Natürlich hatten wir alle geglaubt - auch ich -, dass man an jenem Geschöpf, was weiß ich, einen Mord begangen habe oder begehen wollte. Dabei ist das hier etwas ganz anderes. Der da hat einen Fortsatz, einen Sauger oder etwas in dieser Art, und das Röhrchen ist einfach dort eingesetzt, hineingeführt. Wie man einem Menschen bei der Tracheotomie ein Röhrchen in die Luftröhre einführt. Natürlich hat das nichts mit Tracheotomie zu tun, er hat ja an dieser Stelle keine Luftröhre. Ich weiß nicht, was
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