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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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aufgezogen hatte, suchte ich mich in Geduld zu fassen, so gut es eben ging.
    Während der endlosen vierundzwanzig Stunden, die nun folgten, kam niemand mir zu Hilfe, und ich sah mich veranlaßt, Augustus der gröbsten Rücksichtslosigkeit anzuklagen. Besonders erschreckte mich, daß in meinem Krug das Wasser auf etwa eine halbe Pinte zurückgegangen war und daß ich an starkem Durst litt, da ich nach dem Verlust meiner Hammelkeule reichlich viel Bologneser Wurst gegessen hatte. Eine gewaltige Unruhe befiel mich, ich konnte mich nicht länger durch die Lektüre meiner Bücher zerstreuen. Auch überwältigte mich ein Verlangen nach Schlaf aber ich zitterte bei dem Gedanken, ihm nachzugeben, falls ein verderblicher Einfluß, ähnlich dem des Kohlengases, in der stickigen Luft des Kielraums sich bemerkbar machen sollte. Inzwischen belehrte mich das Stampfen der Brigg, daß wir schon weit auf dem Ozean waren, und ein dumpfer, summender Laut, der wie aus ungeheurer Ferne kam, überzeugte mich, daß da draußen eine nicht alltägliche Kühlung wehte. Ich konnte für Augustus‘ Abwesenheit keinen Grund ausfindig machen. Wir waren gewiß weit genug auf unserer Reise gekommen, um mein Versteck unnötig erscheinen zu lassen. Vielleicht war ihm ein Unfall zugestoßen, aber das schien ja kein Grund, mich so lange eingesperrt zu halten, es sei denn, daß er plötzlich gestorben oder über Bord gestürzt war, und bei dieser Vorstellung konnte ich nicht mit irgendwelcher Geduld verweilen. Es war möglich, daß wir konträren Wind gehabt hatten und uns nahe bei Nantucket befanden. Allein wenn das der Fall gewesen wäre, so hätte die Brigg wiederholt wenden müssen; und da sie beständig nach Backbord neigte, mußte sie die ganze Zeit über vor einer starken Brise von Steuerbord gesegelt sein. Übrigens, falls wir noch in der Nähe der Insel waren, hätte Augustus mich ja besuchen und von diesem Umstand unterrichten können. Indem ich so über die Schwierigkeiten meiner einsamen und freudlosen Lage nachdachte, beschloß ich, noch einmal vierundzwanzig Stunden auszuharren und, wenn dann noch keine Hilfe käme, die Falltür aufzusuchen, um entweder mit meinem Freund zu verhandeln oder wenigstens etwas frische Luft und Wasser aus seiner Kabine zu erhalten. Während ich noch so im Nachdenken war, fiel ich allen meinen Anstrengungen zum Trotz in einen Zustand tiefen Schlafes, der eher einer Betäubung glich. Meine Träume waren von der fürchterlichsten Art. Jeglichem Unheil, jedem Entsetzen wurde ich zur Beute. Neben andern Schrecknissen sah ich mich von Dämonen, deren Aussehen ebenso gespenstisch als blutdürstig war, unter ungeheueren Kissen erstickt. Gigantische Schlangen umwanden mich und sahen mich dabei mit ihren schauerlichen, glühenden Augen an. Dann dehnten sich Wüsten vor mir aus, ohne Grenzen, namenlos öde und voll feierlichen Grausens. Endlos hohe Baumstämme, grau und ohne Laub, erhoben sich in unendlicher Folge, so weit der Blick zu reichen vermochte. Ihre Wurzeln verbargen sich in weiten Morästen, deren trübselige Gewässer in tiefster Schwärze bewegungslos und vollkommen entsetzenerregend vor mir lagen. Und die seltsamen Bäume schienen mit menschlichem Leben begabt, und indem sie ihre dürren Astgerippe wie Arme bewegten, flehten sie im Ton gräßlichster Angst und Verzweiflung die schweigenden Wasser um Erbarmen an. Dann wandelte sich die Szene; ich stand, nackt und allein, inmitten des brennenden Sandmeers der Sahara. Zu meinen Füßen kauerte ein grimmer tropischer Löwe. Auf einmal öffneten sich seine wilden Augen, und sie fielen sogleich auf mich. Mit einem krampfhaften Ruck richtete er sich auf und entblößte seine scheußlichen Zähne. Im nächsten Augenblick barst sein roter Schlund in einem Gebrüll, das dem Donner des Firmaments glich, und ich stürzte mit Ungestüm auf den Boden hin. Ich erstickte einen Krampf des Entsetzens und erkannte endlich, daß ich halb wach war. So schien mein Traum denn mehr als ein Traum zu sein. Jetzt wenigstens war ich wieder Herrscher über meine Sinne. Die Tatzen eines riesenhaften, eines wirklichen Ungeheuers drückten schwer auf meine Brust, sein heißer Atem fauchte in mein Ohr, seine weißen, grauenhaften Reißzähne schimmerten vor meinen Augen in der Finsternis.
    Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht sprechen, hingen auch tausend Leben von der Regung eines Gliedes, vom Aussprechen einer Silbe ab. Das Tier, welcher Art es auch sein mochte, blieb in seiner

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