Ehrensachen
Mutter aus. Die Sachen, die er seine Don-Ramón-Ausstattung nannte und so schnell wie möglich loswerden wollte, hatte sie bei einem Schneider in Panama City bestellt, weil die Stadt in erreichbarer Nähe des Stützpunkts in der Kanalzone lag, wo sein Vater zur Zeit stationiert war. Archie bezeichnete seine Mutter als Mater. Seinen Vater nannte er Pater. Er hatte zwei Jahre in einem Internat in Schottland zugebracht, gleich nach dem Krieg, als sein Vater zu einem Stabshauptquartier in Deutschland abkommandiert war. Das Internat sei seine einzige Verbindung zu den Britischen Inseln, sagte Archie, abgesehen von den fernen Vorfahren seines Vaters. Der Vater stamme aus Texas, sei dort geboren und aufgewachsen, bis er nach Point West kam. Die Mutter sei Halb-Mexikanerin, Tochter eines amerikanischen Petroleum-Ingenieurs, der sein Glück südlich der Grenze gemacht hatte, und einer Einheimischen. In Maters Familie gibt es einen Tropfen Aztekenblut, ließ er uns wissen, aber nicht soviel, daß man es merken könnte. Ihre Eltern hatten sie aufs College in San Antonio geschickt, und dort hatte ein frisch gebackener Leutnant Palmer auf Weihnachtsurlaub sie kennengelernt und umworben.
Als Archie sich endlich mit der Ordnung in seinem Schrank und den Schubladen zufriedengab, war es Zeit zum Abendessen. Auf dem Weg in die Mensa stellte er Henry eine ganze Reihe Fragen zu Dingen, die mich selbst interessierten.
Übrigens, wo kommst du eigentlich her? sagte er.
Polen.
Oh, und wo in Polen?
Krakau.
Großartiges Land, Polen, bemerkte Archie, und wann bist du hierher gezogen, gerade noch vor dem Krieg?
Nein, siebenundvierzig.
Wirklich, und wo warst du während des Krieges?
In Polen.
Deine Eltern auch?
Ja.
Er hatte diese einsilbigen Antworten ganz freundlich, mit ruhiger Stimme gegeben. Trotzdem hatte Archie offenbar beschlossen, daß die Befragung nun weit genug gegangen sei. Er klopfte Henry auf die Schulter und sagte, eines Tages würde er gern die ganze Geschichte seiner Kriegserfahrungen hören. Dann waren wir in der Mensa angekommen,Henry und ich kannten uns schon aus, holten Besteck, verstauten es in den Brusttaschen unserer Jacken und stellten uns in die Warteschlange für das Hauptgericht.
II
Man sagt, niemand, der nicht im Ancien régime gelebt habe, dürfe behaupten, die Sonnenseite des Lebens zu kennen. Vielleicht sind die hohen Annehmlichkeiten des Studentenlebens am Harvard College um 1950 ebenso unvorstellbar geworden. Es war nichts Besonderes, daß meine beiden Mitbewohner und ich in einem der älteren Studentenheime eine Suite mit drei Schlafzimmern bewohnten, alle so geräumig, daß außer dem Bett noch ein Schreibtisch und ein paar Stühle darin Platz hatten, und dazu ein Wohnzimmer, das mir in der Erinnerung groß vorkommt. In unserem Gebäude gab es in jedem Stockwerk Toiletten und Duschen für alle am Ende des Flurs, aber hätten wir zufällig in einem neueren Studentenheim gewohnt, dann hätte unsere Suite ein eigenes Bad gehabt. Ältere irische Putzfrauen, liebevoll »Muttchen« genannt, kamen täglich außer sonntags zum Reinigen und Bettenmachen. Gegen geringes Entgelt wuschen sie auch Socken und Unterwäsche. Eine von der Universität finanzierte Wäscherei holte Bettlaken und Bezüge ab und brachte sie gewaschen und gebügelt zurück; ich bin fast sicher, daß der Anblick eines Studenten, der einen Waschautomaten füttert, damals weitgehend unbekannt war. Angeblich bedienten sich die Muttchen freizügig, wann immer sie alkoholische Getränke in einem Studentenzimmer fanden. Mir ist so etwas nie passiert. Andererseits versäumte ich nie, meinem Muttchen, wenn es kam, während ich da war, unabhängig von der Tageszeit einen Drink anzubieten. Das Muttchen, das in meinem dritten Collegejahr für mich sorgte, hatte eine ausgesprochene Vorliebe für Curaçao, und ich achtete darauf, daß ich immer eine Flasche zur Hand hatte. Höhere Semester wohnten in Häusern, die vordem Krieg unter der Ägide von Präsident Lowell nach dem Muster der Colleges von Oxford und Cambridge gebaut worden waren. Eines der Häuser trug seinen Namen. Jedes hatte einen Eßsaal, Aufenthaltsräume und eine Bibliothek, deren Qualität von Haus zu Haus verschieden war, einen Leiter, der im Haus wohnte, sowie innerhalb oder außerhalb des Hauses untergebrachte Tutoren. Erst seit kurzem gab es keine Kellner mehr in den Eßräumen oder der Mensa, sondern Selbstbedienung wie in einer Cafeteria – eine Maßnahme zur Kostendämpfung,
Weitere Kostenlose Bücher