Eiertanz: Roman (German Edition)
über meine Angst gleich die herumliegenden Zeitungen ein. Einige waren tatsächlich bekleckst mit etwas Grauweißem, Farbe wahrscheinlich. Ich versuchte, nicht hineinzugreifen, stapelte sie neben dem Kamin. Und schrie auf, als ich in aufgerissene Augen blickte. Eine knieweiche Sekunde brauchte ich, bis ich erkannte, dass die Augen einer Maske gehörten, einer von vielen, die auf dem Kaminsims standen und lagen, Masken aus Holz oder Ton, mit leeren Augenhöhlen, Tierohren, Hörnern. Nur diese eine schien mich anzuschauen, aus aufgemalten, rot umrandeten Augen, so intensiv, als versuchte sie, einen kindischen Anstarr-Wettbewerb zu gewinnen. Sollte sie doch.
»Ich glaub nicht an Voodoo«, sagte ich laut.
»Halt die Goschn«, antwortete jemand, nicht minder laut, von irgendwoher, und ich klammerte mich zitternd an einem überdimensionalen hölzernen Mönch mit Wanderstab fest. Ängstlich lauschend, die Rute im Anschlag, schlich ich in den Flur, riss alle Türen auf, die sich öffnen ließen: kein Mensch. Nur eine Küche, deren Anblick selbst Meister Proper eingeschüchtert hätte. In einem anderen, kleineren Raum Wäschestapel, die dritte Tür klemmte. Niemand, der flüchtete, niemand, der sprach. Stille. Auch draußen. Kiesweg und Parkplatz brüteten in der Spätnachmittagssonne.
Ich hatte gehört, dass akustische Halluzinationen bei Forschern in einsamen Gebieten vorkamen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde. Es war Zeit für eine Gegenmaßnahme. Ich schloss den Bus auf und holte die Kühltasche mit den Überlebensmitteln aus dem Kofferraum. Die Piccolos waren noch kalt. In Erinnerung an die Küche verzichtete ich auf ein Glas, trank einen Schluck Aperol Spritz aus der Flasche. Alles war nur eine Frage der Organisation. Zuerst würde ich einen Grundriss jedes Stockwerks zeichnen und darüber ein Raster aus Planquadraten legen. Vielleicht wäre es klug, auch jeden einzelnen Raum in Quadrate einzuteilen, diese Quadrate jeweils in Unterabschnitte, die ich systematisch durchforsten würde. Ein Zimmer pro Tag wäre zu schaffen. Je früher ich loslegte, desto schneller wäre ich wieder in Köln. Auf meinem iPhone tippte ich bereits die Einkaufsliste für morgen:
Millimeterpapier
Bleistifte (mit Radierer)
Mülltüten (groß)
Insektenspray (Rattengift?)
Powerreiniger
Mundschutz?
Latexhandschuhe (Chirurgiebedarf?)
Einweg-Schutzoveralls (ca. 100 Stück)
Schweißerbrille
Machete (Outdoorladen?)
Zehn Flaschen Aperol Spritz groß (Härteres?)
Zartbitterschokolade (mit 85% Kakaoanteil)
(oder doch Vollmilch-Nuss?)
Dann rüttelte ich an der klemmenden Tür, hinter der ich das Bad vermutete, bis es mir nach einer Minute wütenden Ruckelns gelang, sie wenigstens einen Spaltbreit zu öffnen. Don Quijote hatte mit bloßen Händen gegen Windmühlen gekämpft, ich kämpfte gegen eine Übermacht widerspenstiger, glitschiger, im falschen Moment auslaufender Shampoopröbchen, Duschgelfläschchen und Cremetübchen. Im Gegensatz zu Don Quijote siegreich. Nach einer Stunde erreichte ich, bereits von oben bis unten eingeseift, eine überraschend saubere Duschkabine, drehte erwartungsvoll den altmodischen Wasserhahn auf. Ohne Ergebnis. Einen Moment stand ich stumm und schäumend in der Kabine. Was sollte ich tun, eine höhere Macht um Wasser anrufen? Oder lieber gleich meine Chefin? Schon war ich zu meiner Regenjacke geglitscht, hatte das iPhone aus der Tasche gefischt. Ich tippte ihre Nummer, zog mich zum Telefonieren wieder in die Kabine zurück. »Christiane?« Ausgerechnet jetzt erwischte ich nur die Mailbox. »Hier ist Gina. Sag mal, hast du gewusst, wie es in diesem Haus …« Ein Knacken unterbrach mich. Gefolgt von einem Knattern, dann schoss ein gewaltiger Wasserstrahl aus der Dusche, und mit einem Schrei schleuderte ich das iPhone aus der Gefahrenzone, zwischen Tübchen, Fläschchen, Pröbchen.
Als ich endlich im Schlafzimmer ankam, zwitscherten draußen schon schüchtern die Vögel, ein Abendkonzert, und vom See her quakten Frösche. Das Schlafzimmer war eine Offenbarung. Ein fast komfortabel zu nennender breiter Gang zwischen Wäschebergen führte zu einem Bett. Einem ordentlich gemachten Bett mit geblümten, duftenden Bezügen, dessen Anblick mich beinahe zu Tränen rührte. Ob Therese dafür verantwortlich war? Dankbar packte ich meine Koffer aus und hängte zumindest die wichtigsten Kleidungsstücke auf einen Kleiderständer. Im Bademantel setzte ich mich ans offene Fenster. Das
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