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Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Titel: Eigentlich bin ich eine Traumfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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zusammenbringen. Es beruht auf der Theorie, dass alle Menschen auf der Welt über fünf Ecken miteinander bekannt sind. Und weil ich so wahnsinnig viele Filme geguckt habe, kann ich eigentlich alle Schauspieler der Welt über fünf Filme zusammenbringen. An diesem Abend nehme ich
die Herausforderung an, auf diesem Wege Franka Potente und Humphrey Bogart zu vereinen. Was mir nach einigem Kopfzerbrechen auch triumphal gelingt. Im Hintergrund singt immer noch Perry Como. In meiner Brust macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit. Alkohol ist eine wunderbare Erfindung. Es ist einer von diesen Abenden, an denen man eins ist mit sich und der Umwelt und denkt: Genau dies hier, dieser Moment ist das Leben. Nicht diese übliche Kette von Tagen, die vergehen, ohne dass man es überhaupt bemerkt. An denen man tagsüber grübelt, was eigentlich genau von einem erwartet wird, und nachts, ob man es hinreichend erfüllt hat.

    M eine Stimmung am nächsten Morgen ist weniger euphorisch. Ich bin verkatert und habe einen rostigen Geschmack im Mund. Je mehr ich versuche, ihn mit Mineralwasser wegzuspülen, desto schlimmer wird er gemeinerweise. Außerdem fühle ich mich schwach, weinerlich und sentimental. Es ist wohl so eine Art Post-Geburtstagskrise. Ich vermisse die gute alte Zeit, in der man selbst Anfang zwanzig und die Welt voller vermeintlicher Gewissheiten war: Mit dreißig würde man natürlich Haus, Mann und Kinder haben. Aber bis dahin war ja zum Glück noch so unendlich viel Zeit, dass man vergnügt vorgeben konnte, so etwas unglaublich Ödes niemals zu wollen. Niemals würde einen das Leben der Erwachsenen erwarten, in dem Ehemänner ihre Frauen betrügen und Freundinnen schwanger werden.
    Und plötzlich kommt eine Einladung zum Klassentreffen,
bei der man zunächst vermutet, die Absender hätten sich vertan. Man kennt keinen Namen auf der Liste. Dann fällt einem auf, dass die Frauen einfach nur andere Nachnamen haben. Nur ich heiße noch so wie beim Abitur: Juli Sommer. Wieso ist der Übergang so schleichend, warum gibt es keinen Punkt, an dem man vorgewarnt wird: Jetzt wird’s ernst. Wieso ist das Leben so grausam? Wieso muss man plötzlich aufwachen, mitten im »echten« Leben stecken, in dem die Fenster der Möglichkeiten immer kleiner werden? Wieso? Wieso kann man nicht mehr Rockstar, Schauspielerin oder Archäologin werden? Das wäre doch alles mal drin gewesen. Mist, dies wird wieder so ein vergrübelter Tag. Vermutlich werde ich am Nachmittag erschöpft einschlafen, mich abends noch zerstörter fühlen, dafür dann aber gar nicht mehr schlafen können.
    Das Telefon klingelt. Ich bin einfach zu wehrlos. Obwohl ich ganz genau weiß, dass es am Samstagmorgen nur meine Mutter wagt, mich anzurufen, gehe ich an den Apparat.
    Â»Na, wie fühlt man sich mit dreiunddreißig?«, fragt sie.
    Â»Schwach«, erwidere ich und merke erschrocken, wie abweisend ich klinge.
    Â»Hast du wieder zu viel gefeiert? Ich bin ja abends meist zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. Aber so ist das wohl, wenn man Verantwortung für einen Haushalt trägt, für einen Mann sorgt und zwei Kinder großgezogen hat.« Sie seufzt.
    Oh nein, bitte nicht. Sie ist in Leidensstimmung, das erkenne ich sofort. Es gibt Tage, an denen ich sie fast normal finde. Und es gibt Tage wie diesen, an denen sich die
eindeutig schizophrene Tendenz in ihrem Charakter nicht leugnen lässt.
    An einem Tag vergisst sie ihre Kinder völlig, um im von Papas Geld finanzierten Nobelkostüm immer noch den Hippie im Geiste zu spielen und sich obskuren Selbstfindungstrips hinzugeben. Dann wieder hat sie diese weichgespülten Phasen, in denen sie so tut, als sei sie schon immer der aufopferungsvolle Muttertyp gewesen, der in weißer Baumwollschürze pausenlos duftenden Apfelkuchen und sonntags Rouladen serviert. Eine von denen, die ihres Lebenssinns beraubt werden, wenn die Kinder ausziehen. Und, was soll ich sagen: Es funktioniert hervorragend. Ich bekomme sofort Schuldgefühle und vergesse glatt, dass ich mir nach der Schule immer selbst Tiefkühlkost – wenn denn überhaupt welche da war – zubereiten musste, weil meine Mutter in anderen Sphären schwebte und nicht wirklich Zeit für so profanes Zeug hatte. Irdischer Pragmatismus und totale Transzendenz können bei ihr schneller wechseln als das Wolkenbild an stürmischen

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