Eigentlich bin ich eine Traumfrau
W enn ich gestorben bin, dann macht aus meiner Asche einen Diamanten«, sagt meine Mutter hastig, kaum dass ich den Telefonhörer abgenommen habe. Für den Bruchteil einer Sekunde wage ich zu hoffen, dass diese Ansage bloà Teil der Proben für ihre Laienschauspielgruppe ist. Andererseits würde es zu ihr passen, sich an meinem Geburtstag ausführlich mit ihrer Vergänglichkeit zu beschäftigen â Nebenrollen liegen ihr einfach nicht.
»Ach, Mama, wie soll denn das gehen?«
Falsche Frage. Jetzt hat sie mich am Wickel. Sie erklärt mir lang und breit das aufwendige Verfahren, in dem ein Teil der Asche eines Verstorbenen zu einem Diamanten gepresst wird â das hat sie im Fernsehen gesehen. Irrwitzigerweise ist die ganze Angelegenheit natürlich viel teurer, als sich gleich einen echten Diamanten zu kaufen.
»Mama, du wirst noch ganz lange leben. Und ich habe heute einfach keine Lust über Beerdigungen nachzudenken, heute ist mein Geburtstag. Schon vergessen?«
Sie hat es tatsächlich vergessen. Unglaublich. Wäre mir das an ihrem Geburtstag passiert, hätte sie wochenlang alle Leiden Christi inszeniert. So murmelt sie nur leicht beschämt: »Ãhem, nein, natürlich nicht. Alles Liebe zum Geburtstag.«
»Danke. Ich muss jetzt aber aufhören. Es klingelt gerade.«
»Nie hast du Zeit für mich«, sagt sie beleidigt.
Ich verabschiede mich schnell und laufe zur Tür. Da stehen Tanja, Hrithik, Toni und Peter. Juchhu! Die Party kann beginnen. Natürlich haben alle Geschenke dabei. Obwohl ich sie gebeten habe, das zu lassen. Nicht aus falscher Bescheidenheit. Mir gefällt die Endlosschleife des Geschenketerrors einfach nicht, in der man sich bei nächster Gelegenheit mit einem genauso kostspieligen oder liebevoll ausgesuchten Päckchen würde revanchieren müssen. AuÃerdem bekommt man sowieso nie etwas, was man wirklich gebrauchen kann.
Die erwartungsfrohen Blicke beim Auspacken machen mich nervös. Geben ist wohl wirklich seliger als Nehmen. Weil die erste Reaktion des Beschenkten über Glück oder Unglück des Schenkers entscheidet, gebe ich mir an dieser Stelle immer besonders viel Mühe. Ich lasse mir einen Moment Zeit und fange nicht sofort an zu strahlen. Das würde zu aufgesetzt und mechanisch aussehen. Ich tue also so, als lieÃe ich das Geschenk einen kleinen Moment auf mich wirken, setze zu einem leichten Lächeln an, um schlieÃlich dem Schenker in juchzender Freude um den Hals zu fallen.
Das klappt auch diesmal ganz gut â zumindest bei Tonis nett gemeintem Versuch, mich mit der neu aufgelegten Hitchcock-Edition zu erfreuen. Einen der Filme besitze ich zumindest wirklich noch nicht. Es funktioniert auch bei Tanjas und Hrithiks Obst- und Gemüsekisten-Abo, das dazu führen wird, dass in Zukunft viel erlesenes Bio-Grünzeug in meiner Wohnung gammelt. »Jetzt wo du mit dem Rauchen aufgehört hast â¦Â«, erklärt Tanja und meint wohl: Jetzt kannst du auch vollends zur genussfreien Asketin
mutieren, die ihren Grüntee nur im Lotusblütensitz einnimmt.
Hrithik lächelt verlegen. Er ist noch nicht lange mit Tanja zusammen und hat ihren Gesundheitstick offenbar noch nicht richtig verinnerlicht.
Oh mein Gott, ich bin ein nörgeliges, undankbares Biest. Es ist aber auch wirklich nicht leicht, dreiunddreiÃig zu werden, ohne nennenswerte Ziele der jugendlichen Lebensplanung erreicht zu haben. Aber dafür können ja meine Freunde nichts, die es nur gut mit mir meinen. Mit liebevoller Aufmerksamkeit widme ich mich also Peters Geschenk.
»Oh, ein Buch?«, hauche ich lächelnd. Die Form der nachlässig verpackten Gabe lässt keinen Freiraum für Interpretationen.
»Korrekt«, antwortet Peter.
Innerlich gewappnet mache ich mich darauf gefasst, dass sich unter dem Papier wieder einer von Peters Lebenshilfe-Scherzen verbirgt â wie der Südamerika-Reiseführer im letzten Jahr. Für die Reise, von der ich immer spreche, die ich aber vermutlich nie machen werde.
Anklagend sieht der Buchtitel zu mir hoch, nachdem ich das Geschenkpapier abgewickelt habe: »Was ist Wahrheit?«
Ich schlucke, und in meinem Hinterkopf geht sofort ein fieses Affengeschnattere los. Peter hat bei allem, was er sagt und tut, einen tiefgründigen Hintergedanken. Was also will er mir sagen? Verdammt. Finden meine Freunde mich unehrlich? Dabei lehne ich Lügen und
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