Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
alles vor, kochte fürs Mittagsgeschäft, klotzte weiter ran bis zum Abendgeschäft und stand die ganze Zeit hinterm Herd. Dass es mittlerweile deutlich mehr Plätze im Restaurant gab und ich viel älter war, darauf kam ich erst kurz vor dem vereinbarten Termin. Nun ja, es würde eine unterhaltsame Sendung dabei rausspringen.
Als mir die Begleitumstände und das zu erwartende Debakel immer deutlicher vor Augen standen, suchte ich verzweifelt nach einer Lösung, einer Ablenkung, einer Möglichkeit, meine öffentliche Blamage, die sehr wohl historische Dimensionen annehmen konnte, möglichst gering zu halten.
Daher lud ich Eric Ripert zum Essen ein, machte ihn mit teurem Tequila (für den er eine Schwäche hat) gefügig, und als er bester Laune und schön entspannt war, sah ich meine Chance.
Ich schlug vor, er solle mir beim gemeinsamen fröhlichen Kochen im Les Halles Gesellschaft leisten. Wäre doch ein Heidenspaß …
Auf das Ergebnis bin ich richtig stolz. Ich schaffte es (gerade so), mich durch den Abend zu quälen (an dem, gemessen am sonstigen Betrieb, nicht viel los war). Es war hart. Sehr hart. Und noch härter, weil ich die Bons nicht lesen konnte. Wenn ich es versuchte und nach meiner Lesebrille griff, war die, bis sie auf der Nase saß, bereits so fettverschmiert, dass ich nichts mehr sah. Meine Knie knirschten. Aber die Arbeitsabläufe saßen noch. Ich bewältigte immer noch eine Schicht - wenn auch nur knapp. Doch am Ende des Abends wusste ich, dass ich es nie schaffen würde, am nächsten Tag das Gleiche wieder zu machen (wie die anderen Köche).
Bei Eric lief es zu meiner Überraschung reibungslos. Ich hatte gehofft, dass er, der noch nie in seinem Leben in einem Restaurant mit so einem Durchsatz gearbeitet, noch nie Hunderte Teller hintereinander gemacht und schon gar keine Steaks in solchen Mengen und in solchem Tempo gebraten hatte, total aufgeschmissen wäre. Aber nein. Er erledigte seine Arbeit ganz elegant, und am Ende der Schicht war seine Kochjacke noch so schneeweiß wie am Anfang. Es war geradezu unverschämt. Allerdings beklagt er sich bis heute bitter, die Küche im Les Halles sei völlig »unterbesetzt«. Es sei »unmenschlich«, so viele Essen mit so wenigen Köchen rauszuhauen. Und »unmöglich«. Von dem Thema lässt er sich nicht abbringen.
Ich bin stolz auf die Sendung, die daraus entstanden ist - weil sie realistisch, konkret und sehr deutlich gezeigt
hat, wie es in einer Küche bei Hochbetrieb zugeht, und vor allem, wie verdammt hart es ist, wie viel die Arbeit den Köchen abverlangt, wie viel Teamwork erforderlich ist, wie viel Stehvermögen man braucht, welche Einstellung, Choreografie und Organisation dahinterstecken - und was dabei auf der Strecke bleibt.
Wenn ich gefragt werde, ob mir die Arbeit in der Küche fehle, sage ich immer das Gleiche.
Nein, überhaupt nicht.
Ich weiß, die Leute erwarten, dass ich Ja sage. Ja, natürlich fehlt mir die Arbeit in der Küche. Aber ich habe lange genug geschuftet. Ich habe achtundzwanzig Jahre in der Küche gearbeitet, sage ich, achtundzwanzig Jahre. Ich war vierundvierzig, als mein Buch Geständnisse eines Küchenchefs zum Bestseller wurde - und ich könnte mir kein besseres Timing für diesen Glücksfall vorstellen. Mit vierundvierzig war ich, wie alle Köche, die zu lange auf Posten gearbeitet haben, bereits auf dem absteigenden Ast. Ab siebenunddreißig wird man als Koch nicht mehr schneller - und auch nicht klüger. Zuerst gehen die Knie und der Rücken kaputt. Damit hat man gerechnet. Aber auch die Hand-Augen-Koordination funktioniert nicht mehr so gut. Und die Augen lassen nach. Aber die beunruhigendsten Verfallserscheinungen zeigen sich im Gehirn. Nach all den Jahren intensiver Konzentration, dem Multitasking, dem Stress, dem Schlafmangel und zu viel Alkohol reagiert das Gehirn nicht mehr so schnell, wie man gerne möchte. Man kriegt manche Dinge nicht mehr mit. Man erfasst nicht mehr so schnell die Bestellungen, kann die Bons nicht mehr nach Priorität ordnen, kann nicht mehr mit einem Blick erfassen, welches Essen wohin
kommt, die Zahl der vorbereiteten und der Steaks auf dem Herd nicht mehr schnell überschlagen - und vergisst, wie viele Steaks wie durch sein sollen. Der Kater am nächsten Morgen ist übler und hält länger an. Man wird aufbrausend - und ist schneller frustriert, wenn einem Kleinigkeiten misslingen (mit den Kollegen wird man dagegen nachsichtiger). Anfälle von Verzweiflung - die in der bipolaren Welt
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