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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wenn das möglich ist.
    – Er ist soeben in sein Bureau gekommen, Trankel, und wenn du dir die Mühe geben willst, ihn da aufzusuchen, wird er gewiß erfreut sein, dich zu empfangen.«
    Sich geschmeichelt fühlend, begab sich Trankel nach dem Zimmer des Majors und klopfte bescheiden an die Tür. Auf ein kurzes von innen heraustönendes »Herein!« trat er ein.
    Der Major saß vor seinem Schreibtische und blätterte in einem Aktenbündel. Er wendete sofort die Augen dem Eingetretenen zu und sagte:
    »Ah… du bist’s ja, Trankel?
    – Ich selbst, Herr Major.
    – Und du kommst von…
    – Von Herrn Johausen.
    – Ist’s denn etwas Schlimmes?
    – Ach, nur der Samowar, der heute Morgen mit aller Gewalt nicht in Gang kommen wollte…
    – Weil du jedenfalls vergessen hattest ihn anzuzünden, nicht wahr? bemerkte der Major lächelnd.
    – Das wäre wohl möglich.
    – Na… wie viele denn?
    – Hier ist der Bestellschein.«
    Trankel übergab damit dem Major den Zettel, den sein Herr ihm ausgehändigt hatte.
    Der Major las die wenigen Worte.
    »Oh… eine Kleinigkeit, sagte er.
    – Hm! brummte Trankel.
    – Nur fünfundzwanzig!«
    Offenbar hätte Trankel es vorgezogen, mit einem Dutzend davonzukommen.
    »Nun sagte der Major, du sollst bedient werden, ohne lange warten zu müssen.«
    Er klingelte nach einem diensttuenden Polizisten.
    Dieser trat ein und blieb in stramm militärischer Haltung stehen.
    »Fünfundzwanzig Stockhiebe, befahl der Major, doch nicht zu stark, so wie für einen Freund. – Ah, wenn sich’s um einen Slawen handelte! Geh, Trankel, entkleide dich, und wenn die Sache vorüber ist, kommst du wieder und holst dir bei mir den Empfangschein.
    – Ich danke, Herr Major.«
    Trankel verließ das Amtszimmer und folgte dem Polizisten nach dem Raum, wo die Bestrafung erfolgen sollte.
    Man würde ihn ja als Freund, als treuen Kunden behandeln, so daß er nicht gar so schwer zu leiden hätte. Trankel legte Jacke und Hemd ab, um den Rücken zu entblößen, und beugte sich dann nieder, während der Polizist mit einem Bambusstocke in der Hand sich schon vorbereitete, loszuschlagen.
    In dem Augenblicke aber, wo der erste Hieb fallen sollte, entstand vor der Tür des Polizeiamtes ein gewaltiger Lärm. Schwer keuchend kam ein Mann hereingestürzt und rief:
    »Der Major Verder!… Der Major Verder!«
    Der schon über Trankels Rücken schwebende Stock hatte sich wieder gesenkt, und der Polizist hatte die Tür aufgerissen, um zu sehen, was draußen vorging.
    Trankel, der sich dafür nicht weniger interessierte, hatte nichts besseres zu tun, als ebenfalls hinauszulugen.
    Auf den Lärm war auch schon der Major Verder aus seinem Bureau gekommen.
    »Was ist denn los?« fragte er.
    Der keuchende Mann trat, die Mütze in der Hand, an ihn heran und überreichte ihm ein Telegramm mit den Worten:
    »Es ist ein Verbrechen begangen worden…
    – Wann?..
    – In vergangener Nacht.
    – Was für ein Verbrechen?
    – Ein Mord.
    – Wo?
    – Auf der Landstraße von Pernau in der Schenke ‘Zum umgebrochenen Kreuze’.
    – Und wer ist das Opfer?
    – Der Bankbote des Hauses Johausen.
    – Wie… Der arme Poch! rief Trankel. Mein Freund Poch?
    – Kennt man einen Beweggrund zu der Schandtat?
    – Es liegt ein Raub vor, denn die Brieftasche Pochs ist leer in dem Zimmer gefunden worden, worin er ermordet worden ist.
    – Weiß man, was diese enthalten hatte?
    – Noch nicht, Herr Major; das Bankhaus wird darüber aber Auskunft geben können.«
    Die aus Pernau eingetroffene Depesche enthielt alles das, was der Überbringer schon im Telegraphenamte erfahren hatte.
    Der Major wendete sich an die Unterbeamten und sagte:
    »Du… du machst dem Richter Kerstorf dienstliche Meldung.
    – Sofort, Herr Major.
    – Du, du läufst zum Doktor Hamine…
    – Zu Befehl, Herr Major.
    – Und ihr sagt beiden, unverzüglich nach der Johausenschen Bank zu kommen, wo ich die Herren erwarten würde.«
    Die Polizisten eilten aus dem Polizeiamte davon, und wenige Minuten später machte sich der Major Verder auf den Weg nach dem Bankhause.
    So kam es, daß Trankel bei der Unruhe, die die Nachricht von jenem Verbrechen verursacht hatte, heute die fünfundzwanzig Stockschläge nicht bekam, zu denen er wegen Versehens in seinem Dienste verurteilt worden war.
Siebentes Kapitel.
Polizeiliche Besichtigung.
    Kaum zwei Stunden später rollte ein Wagen mit größter Schnelligkeit auf der Straße nach Pernau hin. Es war das weder eine Telega noch eine Postkutsche,

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