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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sondern der Reisewagen des Herrn Frank Johausen, doch bespannt mit Postpferden, die an den gewöhnlichen Stellen gewechselt werden sollten. So schnell die Fahrt auch ging, konnte man doch nicht darauf rechnen, den Kabak »Zum umgebrochenen Kreuze« vor Anbruch der Nacht zu erreichen. Der Wagen sollte deshalb an der letzten Pferdewechselstelle Halt machen und beizeiten am nächsten Tage an der Schenke eintreffen.
    In dem Landauer saßen der Bankier, der Major Verder, der Doktor Hamine, der den Tatbestand aufnehmen sollte, ferner der mit der Untersuchung des Falles betraute Richter Kerstorf und ein Aktuar. Den hinteren Sitz nahmen zwei Polizisten ein.
    Hier noch ein Wort über den Richter Kerstorf, da die anderen Personen in unserer Erzählung schon vorgekommen und wohl hinreichend bekannt sind.
    Dieser Beamte, ein Slawe von Geburt und ungefähr fünfzig Jahre alt, erfreute sich bei seinen Kollegen und auch beim Publikum der größten Hochachtung. Jedermann mußte den Scharfsinn, die Findigkeit bewundern, die er bei der Klarstellung aller ihm anvertrauten Kriminalfälle entwickelte. Selbst von zweifelloser Ehrenhaftigkeit, unterlag er niemals einer Beeinflussung irgend welcher Art und blieb jedem Drucke, woher er auch kommen mochte, unzugänglich; auch die Politik war seinen Entschließungen gegenüber ganz ohne Einfluß. Man konnte den Mann mit Recht das verkörperte Gesetz nennen. Wenig mitteilsam und sehr zurückhaltend, sprach er kaum, gab sich dafür aber um so mehr seinen Gedanken hin.
    In dieser Angelegenheit herrschten also, wie man in der Physik sagt, zwei einander entgegengesetzte Strömungen, die zu vereinigen gewiß viele Mühe kosten mußte, wenn die Politik mit ins Spiel kam: einerseits der Bankier Johausen und der Major Verder, beide von germanischer Abkunft, anderseits der Doktor Hamine, ein geborener Slawe. Nur der Richter Kerstorf stand erhaben über den Rassenleidenschaften, die jetzt in den baltischen Provinzen gärten.
    Während der Fahrt wurde die Unterhaltung – doch mit häufigen Unterbrechungen – nur von dem Bankier und dem Major geführt.
    Frank Johausen verhehlte nicht das tiefe Mitleid, das der Tod des unglücklichen Poch in ihm erweckt hatte. Er hegte eine ganz besondere Achtung für diesen Angestellten der Firma, der ihr schon dreißig Jahre mit vollster Ehrlichkeit und einem Pflichteifer ohne gleichen gedient hatte.
     

    Trankel nahm eine Tasse heißen Tee mit einer Zugabe von Wodka zu sich. (S. 84.)
     
    »Und die arme Zenaïde, setzte er noch hinzu, wie herzbrechend wird ihr Schmerz sein, wenn sie die ruchlose Ermordung dessen erfährt, dem sie jetzt die Hand zum Bunde reichen sollte!«
    In der Tat war ja die Hochzeit in Riga auf die nächsten Tage festgesetzt gewesen, und jetzt sollte der Bankbeamte statt nach der Kirche, nach dem Friedhofe geleitet werden!
    Beklagte der Major auch das traurige Schicksal des Opfers, so beschäftigte ihn doch noch weit mehr die Festnahme des Mörders. Darüber ließ sich freilich nichts sagen, bevor der Schauplatz des Verbrechens besucht, und bevor man wußte, unter welchen Verhältnissen dieses begangen worden war. Vielleicht fand sich am Tatorte ein Hinweis, eine Fährte, die man verfolgen könnte. Der Major Verder war übrigens geneigt, in dieser Mordtat die Hand eines der Landstreicher zu erblicken, von denen gerade dieser Teil Livlands jener Zeit schwer heimgesucht wurde. Er hoffte jedoch, daß der Mörder aus dem »Umgebrochenen Kreuze«, dank den Polizistenabteilungen, die im Lande verteilt waren, der Hand der strafenden Gerechtigkeit nicht entgehen würde.
    Die Aufgabe des Doktor Hamine sollte sich auf die gerichtsärztliche Besichtigung und Untersuchung des Leichnams beschränken. Diese wollte und mußte er abwarten, ehe er sich über den Fall aussprechen konnte. Augenblicklich beschäftigte, ja beunruhigte ihn sogar eine ganz andere Angelegenheit. Als er am vorigen Abend wie gewöhnlich nach der Vorstadt hinausgegangen war, um den Privatlehrer aufzusuchen, hatte er diesen nicht mehr in seinem Hause angetroffen, dagegen von Ilka erfahren, daß ihr Vater verreist wäre. Am nämlichen Tage hatte ihr Nicolef, der ihr vor seinem Fortgange überhaupt nicht zu Gesicht gekommen war, einfach mitgeteilt, daß er Riga für zwei bis drei Tage verlasse. Wohin er gehen wollte, darüber fehlte jede Andeutung, ebenso, ob die Reise schon am Tage vorher geplant gewesen war. Das ließ sich aber annehmen, da Nicolef seit gestern, wo er nach Hause gekommen

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