Ein Drama in Livland
das der städtischen Wahlen. Hier war Frank Johausen entschlossen, seinen Platz zu behaupten, während Dimitri Nicolef ihm, gegen seinen Willen, gegenüberstand, auf den Schild gehoben von der russischen Beamtenschaft und von der niederen Volksklasse, deren Wahlberechtigung ein neuer Zensus nicht unbeträchtlich erweitert hatte.
Daß der einfache Privatlehrer, der vermögenslose und keinerlei wichtige Stellung einnehmende Mann, zu einem Wettkampfe mit dem mächtigen Bankier, dem Vertreter der höheren Bürgerschaft und des Adels, aufgefordert wurde, bildete ein Wahrzeichen, dessen Bedeutung alle weiterblickenden Leute nicht verkennen konnten: wies es doch darauf hin, daß die politischen Verhältnisse der Provinzen vielleicht schon in naher Zukunft zum Nachteile der gegenwärtigen Machthaber in städtischen und Verwaltungsangelegenheiten eine Veränderung erfahren könnten.
Die Gebrüder Johausen zweifelten jedoch gar nicht daran, im bevorstehenden Wahlkampfe wenigstens den ihnen entgegengestellten Wettbewerber glatt zu besiegen. Die zunehmende Volkstümlichkeit Dimitri Nicolefs hofften sie schon im Keime zu ersticken. Vor Ablauf von sechs Wochen würde es sich ja zeigen, ob man ein Ehrenamt einem elenden Schuldner anvertrauen könnte, der im Zivilprozeß verurteilt und dessen Besitztum infolgedessen beschlagnahmt war, so daß er sich, zugrunde gerichtet und wohnungslos, auf die Straße gesetzt sah.
Binnen kaum zwei Monaten, am 15. Juni, verfiel bekanntlich der von Dimitri Nicolef in Anerkennung der Schulden seines Vaters zugunsten der Firma Johausen unterschriebene Schuldschein. Es handelte sich dabei um achtzehntausend Rubel. für einen bescheidenen Privatgelehrten um eine ungeheure Summe, die dieser schwerlich abzutragen in der Lage sein würde. Die Gebrüder Johausen glaubten behaupten zu dürfen, daß die Zahlung, die jenen aus ihrer Gewalt erlösen könnte, bis zum Verfallstage nicht geleistet sein werde. Schon bei den letzten Abzahlungen hatten sich ernste Schwierigkeiten gezeigt und nachher schienen sich die Geldverhältnisse Nicolefs keineswegs gebessert zu haben. Nein, es mußte ihm unmöglich sein, seinen Verpflichtungen gegen das Bankhaus nachzukommen. Verlangte er Aufschub. so würde man unerbittlich bleiben. Das sollte weniger den Schuldner als solchen treffen, als den politischen Gegner, der dadurch mit einem Schlage abgetan würde.
Die Gebrüder Johausen ahnten dabei noch gar nicht, daß ein unvorhergesehenes und ganz unerwartetes Ereignis ihren Plänen noch weiter zu Hilfe kommen sollte. Sie bekamen damit den Blitz des Himmels in die Hand, den sie kaum zu gelegenerer Zeit und vernichtender auf das Haupt ihres volkstümlichen Rivalen schleudern konnten.
Trankel hatte sich auf das Geheiß seines Herrn beeilt – vielleicht ist das letzte Wort aber nicht ganz zutreffend – diesem Folge zu leisten. Mit beschämter Miene und zögernden Schrittes, doch als ein Mann, der den Weg zum Polizeiamte aus mehrfacher Erfahrung kannte, verließ er das Bankhaus, ließ das schloßartige Gebäude mit gelben Mauern, den Amtssitz des Gouverneurs, zur Linken, wand sich durch die Buden und Stände des Marktplatzes, wo alles zu verkaufen war, was irgend verkäuflich schien, wie Trödelkram aller Art, Kleinigkeiten von zweifelhaftem Werte, abgelegte und stark abgenutzte Kleidungsstücke, religiöse Sachen, Küchengeräte usw. Um sich Mut zu machen, leistete sich der vergeßliche Hausdiener noch eine Tasse heißen Tee mit einer Zugabe von Wodka, womit die wandernden Händler stets ein gutes Geschäft machen, dann warf er noch einen flüchtigen Blick auf die netten Bleicherinnen am Waschplatze, durchschritt mehrere Straßen, wo karrenziehende Sträflinge unter Führung eines grimmigen Aufsehers dahintrabten, aber voller Achtung gegen die Leute, die eine Verurteilung zum Bagno wegen eines Vergehens gegen die Disziplin doch noch nicht ehrlos macht, und endlich traf er ruhig im Polizeiamte ein.
Hier wurde der Hausdiener von den Polizisten wie ein alter Bekannter empfangen. Mehrere streckten ihm die Hand entgegen, die er als Antwort herzhaft drückte.
»Na, da bist du ja einmal wieder, Trankel, sagte einer der Polizisten. Wir haben dich doch recht lange nicht gesehen, Väterchen, das mag wenigstens sechs Monate her sein.
– Nun, so lange ist es nicht, erwiderte Trankel.
– Wer schickt dich denn heute?
– Mein Hausherr, Herr Frank Johausen.
– Aha, und da möchtest du wohl mit dem Major Verder sprechen?
– Ja,
Weitere Kostenlose Bücher