Ein Earl kommt selten allein (German Edition)
Christiana an und fragte: »Willst du mir jetzt bitte erklären, was das vorhin in der Schenke zu bedeuten hatte?«
Christiana sah sie verwirrt an. »Was soll ich erklären?«
Suzette kniff die Augen zusammen, aber bevor sie noch etwas sagen konnte, rutschte Lisa die Tasche aus den entspannten Händen und landete mit einem leisen Klappern auf dem Boden. Christiana beugte sich sofort vor, um sie aufzuheben. In der Tasche waren ein kleines Notizheft, eine Feder und ein versiegelter Topf mit Tinte. Lisa hatte die Angewohnheit, diese Dinge immer mit sich herumzuschleppen, wenn sie glaubte, etwas Interessantes zu finden, über das sie vielleicht schreiben könnte. Sie hatte vor, eines Tages selbst einen dieser schrecklichen Abenteuerromane zu schreiben, die sie immer las.
»Du hast etwas übersehen«, sagte Suzette, als sich Christiana wieder aufrichtete, und sie blickte nach unten und sah, dass ein Briefumschlag auf dem Boden lag. Wieder bückte sie sich und hob ihn ebenfalls auf, aber diesmal richtete sie sich langsamer auf. Auf dem Umschlag stand nichts, das erkennen ließ, an wen er gerichtet war. Er war mit einem Klecks aus dunklem Wachs versiegelt, aber darin zeigte sich kein Siegelabdruck. Aus irgendeinem Grund durchlief ein angstvolles Zittern Christianas Körper.
»Oh, das habe ich ganz vergessen«, murmelte Lisa schläfrig.
Christiana sah ihre jüngere Schwester an und stellte fest, dass sie gähnte, aber wach war. »Was ist das?«
»Ein Brief an Dicky«, antwortete Lisa und setzte sich auf.
»Du meinst, ein Brief an Richard«, berichtigte Suzette sie trocken.
Christiana beachtete sie nicht weiter und fragte: »Von wem ist er?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht geöffnet«, sagte Lisa empört.
»Nein, das sehe ich«, sagte Christiana gereizt. »Aber wieso war er in deiner Tasche?«
»Oh.« Lisa zuckte mit den Schultern und nahm ihr die Tasche ab. »Ich habe ihn heute Morgen bekommen, als Daniel und Robert Dicky dabei geholfen haben, seine Kiste rauszutragen.«
»Richard«, murmelte Christiana, als Lisa eine Pause machte und die Stirn runzelte, zweifellos weil die Männer sie selbst aufgeladen hatten, statt dies von ihren Dienern tun zu lassen. Christiana war die Einzige in dieser Kutsche, die wusste, dass die Männer sie deshalb selbst aufgeladen hatten, weil George in ihr war und sie nicht riskieren wollten, dass sie versehentlich fallen gelassen wurde und er herausfiel.
»Wie auch immer«, sprach Lisa weiter. »Da war ein süßer kleiner Junge, der zu uns gelaufen kam. Er hat gefragt, wer von den Männern der Earl ist, und ich habe auf Dicky gezeigt –«
»Richard«, berichtigte Christiana sie.
»– er wollte schon zu den Männern gehen«, erzählte Lisa weiter, ohne sich unterbrechen zu lassen. »Aber ich habe vorgeschlagen, dass er mir den Brief gibt, statt die ziemlich beschäftigten Männer zu belästigen. Ich wollte ihn Dick – Richard geben, sobald sie mit der Kiste fertig waren, aber dann ist Grace aus dem Haus gekommen und auf der Stufe gestolpert und hingefallen, und ich habe den Brief in meine Tasche geschoben und bin zu ihr gelaufen, um ihr zu helfen, und …« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn bis jetzt vergessen.«
Christiana blinzelte auf den Brief hinunter. Etwas an der leeren Vorderseite und dem schwarzen Wachsklecks bereitete ihr Unbehagen. Abgesehen davon musste er für George sein, nicht für Richard. Richard war ein ganzes Jahr lang weg gewesen und gerade erst aus Amerika zurückgekehrt, und der Einzige, der das sonst noch wusste, war Daniel. Und Daniel würde Richard wohl kaum eine Nachricht schicken, da er seit ihrer Rückkehr fast die ganze Zeit im Haus und bei ihm gewesen war.
Sie drehte den Brief in den Händen und starrte den Wachsfleck an. Dann öffnete sie ihn.
»Was tust du da, Chrissy? Der ist für Dicky!« Lisa versuchte, ihr den Brief wegzunehmen.
»Dicky ist tot«, fauchte Christiana und rückte etwas zur Seite, während sie den Brief aufriss.
»Was?« Lisa schnappte nach Luft.
Christiana achtete nicht auf sie, sondern hielt den Brief ans Fenster, um ihn lesen zu können. Es war bereits spät, die Sonne ging schon unter, und es gab nicht mehr viel Licht, aber sie schaffte es trotzdem noch. Während sie las, fluchte sie.
»Was steht drin?«, fragte Suzette und riss ihr den Brief aus der Hand.
Christiana machte sich nicht die Mühe, sie daran zu hindern, sondern wartete schweigend, bis sie alles gelesen hatte. Sie hatte ihnen ohnehin
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