Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
entworfen, das Haus quoll über von diesen Tischuhren, fein säuberlich und genau gezeichnet, kleine Kunstwerke in sich. Ein Leben lang hatte er sich darauf vorbereitet, diese Uhren zu bauen, aber er fing nicht damit an, und am Ende war auch für Samuel die Zeit vorbei. Er starb bei einer kalten Dusche in einem öffentlichen Bad in Bergen, brach auf den braunen Fliesen zusammen. Darauf war ich am allerwenigsten vorbereitet, dass allen anderen vor mir die Puste ausgeht. Nein, das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Ich bin ja nicht uralt. Erst als Samuel in der Grube verschwunden war, begannen meine Tränen zu fließen. Sie flossen langsam in dem Schneetreiben, ich trauerte nicht so sehr um Samuel, sondern vor allem um mich. Ich stand an Samuels Grab, meiner Freunde beraubt, meiner eigenen Geschichte beraubt.
Um gleich zur Sache zu kommen, als ich mit meinem Schirm dort stand, kam eine schwarzgekleidete Frau auf mich zu. Sie berührte mich am Arm und fragte, ob ich Harold sei. Ich habe keine Erklärung für mein Handeln, und ich habe nicht vor, unvernünftige Entscheidungen zu rechtfertigen, aber ich habe sie zu mir nach Hause eingeladen. Es schneite kräftig, und dieser Frau am Grab war jämmerlich kalt. Ich hatte Ellen Reiss seit mindestens 45 Jahren nicht mehr gesehen, zu diesem Ergebnis kamen wir jedenfalls später am Abend über einer Flasche Wein. Wir stießen auf Samuel und die Jugend an, stießen auf damals an, als Ellen Reiss unwiderstehlich war und ich ein Mann, der alles zu verlieren hatte. Ich hatte gerade Marny gefunden, und Ellen Reiss kam für mich nicht in Frage. Ich hatte Marny zum ersten Mal im Friseursalon in Bergen gesehen. Sie sollten die Haare nach hinten kämmen, sagte Marny, das würde Ihnen stehen. Sie massierte mir die Kopfhaut, schnitt mir die Haare und kämmte sie nach hinten, bevor ich meinen Hut nahm und in den Regen hinausging. Später fragte ich immer nach Marny, wenn ich mir einen Termin holte. Ich hätte gern einen Termin bei Marny Kolås, sagte ich am Telefon. Marny massierte mir die Kopfhaut, schnitt mir die Haare und kämmte sie nach hinten. Eines Tages wollte ich wissen, ob sie gern ins Kino ging. Das konnte sie bejahen.
Nach unserer Hochzeit arbeitete Marny im Laden, von früh bis spät saß sie mit einer Brille, die ihre schönen Augen verbarg, am Schreibtisch. Besorg dir Kontaktlinsen, Liebes, sagte ich später zu ihr, ich will deine schönen Augen sehen. Das war das Leben, das ich geführt hatte. Das sagte ich zu Ellen Reiss. Das war das Leben, das ich führen wollte. In der Liebe gehe es nur um eines, sagte ich zu Ellen Reiss, in der Reichweite seines Herzens zu sein. Manchmal war man es, manchmal nicht. Du musst dich zur richtigen Zeit in die Reichweite deines Herzens begeben. Meine Güte, am Freitagabend hob ich Ellen Reiss’ trauernden Unterrock hoch, nach all diesen Jahren, sie trug eine Menge Unterwäsche, für die ich keine Worte kannte, aber ich spürte, wie es zwischen den Fingern kribbelte. Sie hatte die Initiative ergriffen, als sie zur Kaffeezeit ihre Hand auf meinen Hosenlatz legte. Du warst schon damals chic gekleidet, hatte sie gesagt. Ich kann mich an fast nichts erinnern, nur dass ich halbherzig in Ellen Reiss herumgefuhrwerkt habe. Ich weiß nur, dass ich Stunden zuvor gedacht hatte, sollte Ellen Reiss mein Glied in sich hineinstecken, wäre es nicht von Bedeutung, ich habe nichts mehr zu verlieren. Während sie sich über das Ecksofa beugte, dachte ich an Marny, ich dachte an Marny, während meine Hoden an Ellen Reiss’ Po klatschten. Jetzt befand sich Marny außerhalb der Reichweite meines Herzens, und Ellen Reiss befand sich innerhalb. Sie blieb über Nacht, und das Einzige, woran ich denken konnte, als ich aufwachte, war: Das hier ist Marnys Bett. Das hier ist Marnys Bett.
Heute Nachmittag auf dem Dach hatte es sich angefühlt, als wäre von meinem Leben unter mir nichts mehr da. Warum trampelte ich dort oben herum? Was wollte ich sichern, wenn ich Schnee schaufelte? Ich machte beim Schneeschippen eine Pause und beschloss, ein für alle Mal aufzugeben. Vom Dach aus hatte ich einen guten Blick auf die Nachbarschaft. Meinen Stadtteil, Åsane. Licht blitzte aus den Fenstern, hier und da sah ich Menschen, aber die meisten Häuser strahlten eher Einsamkeit aus, etwas Kaltes, Abweisendes. Ich sagte mir, dass das die Häuser sein mussten, die man vom Flugzeugfenster aus sah, wenn man spätabends auf dem Landeanflug war. Lichterketten unter dir, merkwürdige
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