Ein Engel an Güte (German Edition)
Sizilien verausgabten Gelder, und Nievo ging mit Dokumenten und Geldern am 4. März 1861 an Bord des Dampfschiffes Ercole, um nach Neapel und von dort weiter nach Norden zu reisen. Aber das Schiff verschwand spurlos, wohl in einem nächtlichen Sturm, ohne dass je irgendwo Wrackreste oder Opfer angeschwemmt worden wären.
In Turin bereitete man sich in diesen ersten Märzwochen auf die Ausrufung des Königreiches Italien vor, das Verschwinden desjungen Literaten und Finanzverwalters im Süden blieb im Norden unbemerkt. Noch elf Tage nach dem Schiffbruch wurde in der Verwaltung des Turiner Parlaments ein Mahnbrief an Ippolito Nievo abgeschickt, er solle sich schnellstmöglich einfinden und Rechenschaft ablegen. Die am 17. März in den Zeitungen Neapels erschienenen Meldungen vom Verschwinden der Ercole wurden in Turin nachgedruckt, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Ippolito Nievo hat sein kurzes, kaum mehr als neunundzwanzig Jahre währendes Leben in einer Epoche verbracht, in der die Jahreszahlen zu Symbolen, ja zu Parolen werden konnten. Im Manuskript hat er die Eröffnungsszene des Romans Angelo di bontà zunächst im Jahre 17** stattfinden lassen. In der Druckvorlage hat er daraus den Mai 1749 gemacht, wir dürfen annehmen, mit Bedacht. Denn durch diese Datierung rückte das historische Geschehen in die Perspektive der Gegenwart. Die« 49»war im Jahre 1856 dazu angetan, im Publikum die Erinnerung an das Frühjahr 1849 heraufzurufen, als in Venedig die«Repubblica di San Marco»sich erst nach zähem Widerstand den österreichischen Truppen ergab. Die assoziative Verknüpfung der Jahre 1749 und 1849 hat Nievo dadurch befördert, dass er das habsburgische Imperium so unaufdringlich wie unübersehbar in den Horizont der Romanhandlung eingezeichnet hat. Der wichtigste politische Akteur des Romans, der Senator Formiani, als fähigster der geheimen Inquisitoren seit Jahrzehnten der mächtigste Mann in Venedig, ist nicht nur mit der Abwehr der dilettantischen Intrige beschäftigt, die der Provinzadel in Gestalt des so ehrgeizigen wie unfähigen Grafen Carmini angezettelt hat. Er ist zugleich und vor allem außenpolitisch gefordert. Denn während in der historischen Realität der österreichische Erbfolgekrieg bereits 1748 beendet war, dauert er in Nievos Roman um des Spiels mit historischen Analogien willen noch 1749 an. Heftig bedrängt das habsburgische Imperium, unterstützt vom Gesandten Englands, die Republik Venedig, sich gegen Spanien und Neapel auf seine Seite zu schlagen. Formiani aber setzt auf die Option der«bewaffneten Neutralität»Venedigs gegenüber den rivalisierenden europäischen Großmächten, ohne die Illusion zu hegen, dass die Republik ihre längst auf tönernen Füßen stehende Selbständigkeit noch lange wird behaupten können. Sein Ziel ist, in realistischer Einschätzung der inneren Erosion, eine ehrenvolle Verabschiedung Venedigs aus der großen Politik. So sehr ist dieser Patrizier eine Figur der Resignation und Desillusionierung, dass sich in seiner bitteren Weltsicht ankündigt, was 1797 Wirklichkeit werden wird: das Ende der Republik Venedig.
Mit großem Erfolg hatte Alessandro Manzoni in seinem Hauptwerk I promessi sposi , dessen endgültige Fassung 1840/42 erschienen war, demonstriert, wie sich im historischen Roman eine Liebeshandlung mit dem Blick zurück in ein Jahrhundert verbinden ließ, das dem zerrütteten Italien des 19. Jahrhunderts als Spiegel dienen konnte. Ippolito Nievo hat diese Verknüpfung aufgegriffen und Morosina, den Engel an Güte, der dem Roman seinen Titel gibt, in eine Liebesintrige eingesponnen, die von Beginn auf Tuchfühlung zum politischen Schicksal Venedigs bleibt. Der Inquisitor Formiani, in dem dieses Schicksal Gestalt gewinnt, will noch in hohem Alter die genealogische Kette, deren letztes Glied er ist, in die Zukunft verlängern. Die moralische Dekadenz der Stadt, so sein Kalkül, wird ihm dabei in die Hände arbeiten. Niemand wird Anstoß nehmen, wenn er Morosina aus dem Konvent holt, zu seiner Gemahlin macht und ihren Cicisbeo für den erwünschten Nachwuchs sorgen lässt. Der junge Adlige Celio Terni, von Kindheit an mit Morosina vertraut, würde liebend gern diese Rolle übernehmen. Aber die Intrige scheitert an derjungen Heldin, die sich weigert, dabei mitzuspielen. Sie muss ein vom Himmel gefallener Engel sein, so fremd steht sie vor dem Panorama der moralischen Dekadenz. Es hätte ihr gefährlich werden können, dass der Erzähler so erkennbar mit
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