Vandark - Ein Spooky-Abend am Kamin
Kap 1 - Vandark
„Scheißkarre!“
Melanie Görner drehte noch einmal den Zündschlüssel. Das durchdringende rhythmische Wimmern des Anlassers hämmerte die Gewissheit in ihr Gehirn, dass ihrer Mutter ein einsamer Abend am Flughafen Rostock-Laage drohte.
„Du Mistschlitten!“
Melanie trommelte mit beiden Fäusten gegen das Lenkrad, als könne sie damit ihrem altersschwachen Golf neues Leben einhauchen. Ob es ihm wirklich das letzte Motorlichtlein ausgepustet hatte, vermochte die Lehrerin als absoluter Technik-Laie nicht zu beurteilen, aber mit vollem Tank – denn soweit überblickte sie die Lage noch - und offensichtlich geladener, funktionierender Batterie einfach mir nichts dir nichts auszurollen und den Motor ohne ihre Eingriffe in einen Schlummerzustand zu versetzen, steigerte ihre Wut und ihren Hass gegen das in die Jahre gekommene Auto, als hätte ihr nicht existierender Lebenspartner sie gerade vor die Tür gesetzt.
„Du Schrottmühle!“
Sie starrte durch die Windschutzscheibe in die Ferne.
„Auch das noch!“
Die dunkle Wolkenwand, die sie schon während der letzten Kilometer entdeckt, aber nicht ernst genommen hatte, näherte sich in einer gefühlt rasenden Geschwindigkeit. Die ersten Schneeflocken tanzten in der Luft. In Kombination mit dem sich tief verdunkelnden Himmel signalisierte die noch funktionierende Digitalanzeige hinter dem Lenkrad mit ihren minus zwei Grad, dass die nächsten Stunden den Landstrich in eine frostige und weiße Starre versetzen wollten. Das wusste Melanie. Auch wenn sie diese Straße hier noch nie gefahren war, so kannte sie doch diesen Teil Mecklenburg-Vorpommerns gut genug, um Wetterlagen einschätzen zu können. Sie hatte hier ihre Kindheit erlebt, sie wurde hier geboren und wuchs hier auf. Sie zog auch nie weg. Sie kannte diesen Landstrich und seine Eigenarten. Schnee bei einer solchen Wetterfront verhieß nichts Gutes. Und schon gar nicht, wenn man mit einer gestrandeten und jeglichen Dienst verweigernden Schrottkarre auf einer einsamen Landstraße noch mehr als dreißig Kilometer vom Flughafen Rostock-Laage entfernt im Niemandsland hilflos am Straßenrand stand.
Melanie griff zum Handy in der Ablageschale.
„Oh! Verdammt …“
Wider Erwarten signalisierte ihr die kleine Fernsprechmaschine, dass kein einziger Sendemast in der Nähe zu irgendeiner Kommunikation bereit war. Melanie sah sich um, drehte ihren Kopf in alle Richtungen. Keine Ortschaft weit und breit zu entdecken. Links nur Felder, rechts nur Wiesenlandschaft unterbrochen mittendrin von einer verfallenen Mauer und Sträuchern, im Treiben der Flocken kaum noch zu sehen. Als einzige menschliche Behausung bot sich jener Gutshof als mögliche Rettungsstelle für die gestrandete Englischlehrerin an, den sie vor wenigen Augenblicken noch drüben zwischen den Bäumen, ungefähr einen halben Kilometer weiter vorn, erkennen konnte, der aber jetzt durch das stärker werdende Schneegestöber hindurch für sie unsichtbar geworden war.
„Wenn es den n sein muss …“
Sie schnappte Mantel und Mütze und stieg aus. Ihre dünnen Schuhe verschafften ihr keinerlei wirklichen Schutz gegen die Kälte, als ihre Füße im schon eine Handbreite hohen Schnee einsanken. Wütend schleuderte sie die Tür zu und stapfte im eisigen Wind am Straßenrand entlang zu dem Anwesen. Wenigstens trug sie Jeans. Sie verbat ihrem Gehirn, irgendeinen Gedanken daran zu verschwenden, was gewesen wäre, wenn sie noch immer in ihrem Rock stecken würde, den sie in der Schule noch getragen hatte. Nicht auszudenken!
Das große, zweiflüglige schmiedeeiserne Tor , dessen senkrechte Gitterstreben keinen Blick auf das am Ende der kurzen Allee gelegene Haus verhinderten, ließ sich zwar laut quietschend, aber ohne Mühe öffnen. Der Kies knirschte bei ihren Schritten unter dem Schnee. Melanie stapfte zwischen den Bäumen den Weg entlang auf den direkt in der Mitte des Weg-Endes liegenden Treppenaufgang zu, der Besucher vor der zweiflügligen, aus dunklem Holz gefertigten Eingangstür empfing. Erst dreißig oder vierzig Schritte vor dem Haus hatte sie einen baumfreien Blick auf das Gutshaus in seiner ganzen Breite. Die zweigeschossige Hauswand präsentierte stolz ihr Gerippe aus kräftigen Fachwerk-Stämmen. Die Ausfachungen dazwischen trugen einen in einem warmen, dunklen Rot gehaltenen Putz. Die weiß gestrichenen Holzfenster im Erd- und Obergeschoss wirkten wie ein langes Spalier gleichmäßig gesetzter Rechtecke. Erst bei dieser
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