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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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fiel
In Hörweite des Meeres
ein, aber er sagte nein, vor kurzem sei ein Buch mit dem Titel
In Hörweite der Glocke
erschienen (von einem Lehrer). Wie wäre es mit
Die Eulen schreien
?, sagte ich. Nein,
Wenn Eulen schreien
, sagte er.
    Abends saß ich da und hörte dem neuesten Gesprächsthema zu. «Janet fährt nach Ibiza und wird dort leben, bis ihr das Geld ausgeht …», «Janet hat vor, zuerst nach London zu gehen und dann den Zug nach Süden zu nehmen … wahrscheinlich bleibt sie über Nacht in Paris … dann nach Barcelona … dann nimmt sie das Schiff zu den Balearischen Inseln … Janet ist … Janet wird … Janet hat …»
    Unter meiner düsteren Laune rührte sich meine Abenteuerlust. Ich wusste, dass sich in Franks gedrückter Stimmung ein Gefühl der Erleichterung darüber verbarg, dass er sich nun mit mehr Ruhe seinem Schreiben würde widmen können. Ich konnte mich gar nicht mehr entsinnen, wie es zu der Entscheidung gekommen war, dass ich das Land verlassen würde; ich wusste nur, dass es keinen Weg zurück gab und dass es, falls mich mein Weg tatsächlich zurückführen sollte, keine zweite Überlebenschance für mich geben würde; dass es das Beste war, aus einem Land zu fliehen, in dem die Andersartigkeit, die in meinem Wesen lag, und selbst mein Wunsch zu schreiben seit meinen Studententagen als Anzeichen von Abnormalität betrachtet wurden.
    Doch ach – ich war verzagt beim Gedanken an den langen und unbekannten Weg, der vor mir lag, an die Seereise über den ungeheuer großen Pazifik, über den Ärmelkanal, an die Nacht in Paris, die Reise durch Frankreich, Spanien, über das Mittelmeer! Warum? Damals – so wie immer – hielt mich derGedanke an die Aussicht aufrecht, durch «Shelleys Augen» die Landschaft zu sehen und
    … das Mittelmeer aus Sommerträumen,
    Das, von kristallner Woge eingewiegt,
    Schlief, wo die Wellen Bajas Ufer säumen.

27
Die Reisende
    Wie eine mythische Figur, die im Begriff ist, sich auf eine lange Reise zu begeben, musste ich mich zuerst einer Prüfung unterziehen, einem Läuterungsprozess, der von meiner Familie überwacht wurde und vier Tage lang dauerte, bis mein Schiff auslief. Ich sollte bei Tante Polly und Onkel Vere in Petone wohnen, und mein Vater, der zu dieser Jahreszeit üblicherweise in den Norden zu den Rugbyspielen fuhr, würde auch nach Wellington zu Tante Polly kommen. Mutters zwei Schwestern, Elsie und Joy, hofften, mich in Wellington zu sehen. Nach der langen Bahnfahrt von Auckland, bei der mir übel war, graute mir vor dem Abschleifvorgang, der ein Ergebnis der natürlichen Reibung in Familien ist.
    In Petone führte Tante Polly mich zu meinem Bett, einem niedrigen Feldbett aus Segeltuch, das neben der Tür im Wohnzimmer an der Wand lehnte – niedrig genug, um den eisigen Wind, der unter der Hintertür hereinblies, abzubekommen.
    «Dein Vater schläft natürlich im Bett im Gästezimmer.»
    «Ja, natürlich.»
    Sie blickte mich streng an. «Ich verstehe nicht, wie du deinen Vater allein lassen kannst, um so weit nach Übersee zu fahren. Deine Mutter ist gerade erst gestorben, und dein Platz ist zu Hause bei deinem Vater.»
    Darauf hatte ich keine Antwort. Wir wollten Dad am nächsten Morgen am Fährenanlegeplatz abholen.
    Dann wandte Tante Polly ihre Aufmerksamkeit meiner Kleidung zu. (Tante Polly, die geschickte Schneiderin, in deren kleinem Arbeitszimmer auch jetzt noch «schwierige» Näharbeiten lagen – Männermäntel, Hosen, Anzüge und Frauenkleider mit ausgefallenen Ärmeln und enganliegenden Oberteilen.)
    «Warum in Gottes Namen ziehst du diese grässliche Jacke an? Sie ist viel zu groß und hat eine scheußliche Farbe, es ist überhaupt keine Farbe. Du schaust aus wie ein Erdklumpen oder so was, wenn du sie anhast. Und man kann deine Figur durch den Rock hindurch sehen!»
    «Ich habe diese Weste gestrickt», sagte ich stolz. «Und die Farbe passt zu allem.»
    «Sie ist langweilig.»
    Sobald Tante Polly ihre Kritik angebracht hatte, wurde sie freundlicher. «Du hast also die Grippe gehabt. Pass nur auf, dass du keinen Schnupfen kriegst.»
    Als Onkel Vere, groß, sanft, mit kuhartigen braunen Augen, am Abend vom Motorenwerk nach Hause kam, unterzog Tante Polly sein Äußeres ebenfalls ihrer Beurteilung. «Sieh bloß deinen Schal an, wie sieht der denn aus? Und was hast du mit deinem Mantel gemacht, so, wie er an dir hängt?»
    Schneiderin für die ganze Welt! Wie ein Künstler, der ständig einrahmt, was er sieht, und Gegenstände

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