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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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auf die spanische Art und Weise aus, ähnlich wie unser englisches ‹th›.»
    «Aha.»
    «Auf der Insel Ibiza kann man mit drei oder vier Pfund im Monat leben.»
    Frank erinnerte mich daran, dass Greville jetzt in Tossa lebte, mit einer Wohnung in Barcelona, er würde ihr schreiben, und sie würden mich in Barcelona abholen und zum Schiff nach Ibiza bringen.
    «Dann wäre Ibiza wohl der richtige Ort für mich, da ich nicht viel Geld haben werde.»
    «Schau, hier auf der Karte ist es, direkt unter Mallorca und Menorca. Mallorca, wo
Robert Graves
lebt.»
    «Robert Graves!»
    Wir hatten seine Lyrik und Prosa gelesen. Franks Freunde erzählten, dass Freunde von ihnen auf Mallorca gewesen waren und Robert Graves besucht hatten! Sie lernten auch Freya Stark kennen.
    «Freya Stark?»
    «Die Reiseschriftstellerin.»
    «Aha.»
    Jeder hatte seine Reisegeschichten! Und jeder sagte mir, was ich tun und wohin ich fahren müsse und was ich zu erwarten hätte, während ich stolz, erfreut und ängstlich zuhörte. Eines Abends fand sich Una Platts mit höchst amüsantenAnekdoten über ihre Fahrt durch den Suezkanal nach London ein. Der Suezkanal. Der weiße Sklavenhandel! Una trug einen Faltenrock aus einem Material, das sie «Terylen» nannte.
    «Es ist neu», sagte sie. «Man braucht es nicht zu bügeln. Es sind
Dauerfalten

    (Ein Königreich für einen Rock mit Dauerfalten!)
    Das Problem der Kleidung für die Reise hatte mich zu beschäftigen begonnen. In meiner Vorstellung waren sämtliche Gegebenheiten auf der Nordhalbkugel, einschließlich des Wetters (die Beschreibungen hatte ich dem angelsächsischen «Wanderer» und «Seefahrer» entnommen), extrem, rau und erschreckend, und ich verstand meine Kleidung zumindest als anfänglichen Schutz gegen die Gefahren des Nordens.
    «Alles, was du brauchst», sagte Frank (und leitete seinen Rat genauso ein, wie mein Vater es getan hätte), «ist Pauls Hose und eine Bluse. Und die Jacke, die du gestrickt hast.» Während der vergangenen Wochen des Wartens hatte ich, wie eine Frau, die ein Kind erwartet, zu stricken begonnen und einen übergroßen grauen Pullover für Frank und für mich selbst eine weite hellbraune Jacke mit einer Kapuze gemacht, wobei ich Braun wählte, weil ich nicht den Mut hatte, eine
richtige
Farbe auszusuchen. Neuerdings sah ich mir die Broschüren der Schifffahrtsgesellschaft mit den eindrucksvollen Fotos von Frauen, die glitzernde Abendkleider und modische Strandanzüge trugen, genau an, besonders ein Foto von einer Frau in einem hautengen Kleid mit tiefem Rückenausschnitt, die sich zum Dinner umzog, während ein attraktiver Mann in einem taillierten Jackett ihren Reißverschluss hochzog; sie lachten, und sie sah ihn mit romantischem Blick an, über die Schulter. Das Leben an Bord wurde als ein Wirbelsturm sexueller Ekstase geschildert, mit Augen und Händen,die einander begegneten, und der Verheißung, dass auch die Körper einander begegnen würden; und alle Passagiere sahen wunderschön aus und waren nach der neuesten Mode gekleidet und den ganzen Tag so beschäftigt mit Spielen, Spazierengehen und Essen an den Tischen, die sich unter dem Gewicht von gebratenem Truthahn, Hummer, üppigen Desserts und Champagner bogen, und mit Tanzen im Mondlicht, dass man sich fragte, ob noch genug Energie für die Aktivitäten der restlichen Nacht übrigblieb. Ich konnte kaum glauben, dass ich mich unter diesen Passagieren befinden und vielleicht sogar selbst ein rückenfreies Abendkleid tragen würde, während jemand lachend meinen Reißverschluss hochzog.
    Meine Fantasievorstellungen schwanden dahin, noch bevor sie entstanden. Ich würde spartanisch leben müssen. Kleider spielten keine Rolle.
    Doch als ich sah, wie schnell meine dreihundert Pfund dahinschmolzen, packte ich einen Koffer voll ziemlich neuer Kleidung, nahm die Fähre in die Stadt und saß mitten unter all den vormittäglichen Einkaufenden mit ihren weißen Handschuhen und Hüten, denn damals zog sich jeder «schön» an, wenn er in die Stadt fuhr. Ich verhökerte meine Kleider in den Gebrauchtwarenläden, wo ich schnell herausfand, dass mein flehentlicher Satz «aber sie sind ja fast nagelneu» immer auf dieselbe Antwort stieß: «Sie sind fast nichts wert.» Ich empfand wachsende Qual und Panik davor, der «wirklichen» Welt gegenüberzustehen, wo keiner sich etwas scherte, wo die Menschen harte Gesichter hatten und geldgierig waren – Stadtmenschen; und ich konnte mich nicht einmal mit dem Gedanken

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