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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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fuhr ich wieder durch die Wildnis der vom Busch gesäumten Eisenbahnstrecke in die nasse, winterliche Welt von Auckland mit ihrem hohen, lichten Himmel, und da meine «Zukunft» nun beinahe zu erkennen war, trat eine neue Erregung in mein Leben, während Frank und ich auf die offizielle Bekanntgabe des Stipendiums und auf den Scheck über dreihundert Pfund warteten.

26
Ratschläge für die Reisende
    Ich erhielt die offizielle Bestätigung meines Stipendiums, doch bevor mir der Scheck zugeschickt wurde, ersuchte mich der beratende Ausschuss um ein Gespräch mit einem seiner Mitglieder, Miss Louden, einer ehemaligen Schuldirektorin, die in Auckland wohnte. Nachdem die Länge meiner Anstaltsaufenthalte bekannt war, sollte dies der Beginn einer Reihe von Erkundungen über meine geistige Gesundheit sein, von Leuten, die für sich selbst herausfinden wollten, ob ich unheilbar krank sei, wie die ärztliche Diagnose besagte, oder ob (wie es sich später während meiner Zeit in London erwies) schon bei meiner ersten Aufnahme ins Krankenhaus ein schrecklicher Irrtum passiert war und von dort an die fortgesetzte Fehleinschätzung meiner Zwangslage ihren Lauf genommen hatte. Die in der damaligen literarischen Welt verbreitete Meinung wird bestätigt durch den Hinweis in der
Enzyklopädie von Neuseeland
auf meine «tragische, geistesgestörte kreative Energie» und «labile Persönlichkeit», eine Ansicht, die oftmals von mir unbekannten Menschen wiederholt wurde.
    Wie üblich versuchte Frank mich aufzumuntern, als ich von dem Interview erfuhr.
    «Das wird ein Kinderspiel», sagte er. «Markier einfach das Schulmädchen, das sich vor der Direktorin liebenswürdig und höflich benimmt.»
    Er versicherte mir, Miss Loudon sei eine angenehme, vernünftige,intelligente Person, die begreifen würde – was immer sie von meiner «Geschichte» hielt –, dass es das Beste für mich war, von Neuseeland wegzukommen.
    Ein paar Tage später fuhr ich mit dem Bus nach Remuera zu meinem Interview mit Miss Louden, die ich, während ich Tee trank und kleine Teekuchen von einem dekorativen Gebäckständer aß, mit meiner «Normalität» zu beeindrucken suchte, indem ich mich als glückliche, gesunde Frau darstellte. Wie die meisten pensionierten Lehrerinnen, von denen ich gehört hatte, wohnte sie in einem mit Möbeln und Büchern vollgestopften Haus in Zimmern mit rosa und dunkelrot gemusterten Teppichen, wie Kinoteppiche; sie selbst hingegen wirkte, als sei sie mit
Kultur
vollgestopft. Ich sprach, wie ich hoffte, unerschrocken über meine Reise nach Übersee, worauf sie von meiner Schulzeit zu reden begann, und als Antwort auf ihre Fragen zu Themen, die seit Jahrhunderten abgehakt waren – Sport, Aufsichtsschüler, die Abschlussklasse –, zählte ich meine längst vergangenen Aktivitäten auf: Kapitän des B-Basketballteams, ein Schild in Leibeserziehung, Haussprecherin, zweitbeste Absolventin der Schule … und so weiter, und ging so auf das von ihr ausgewählte Vergangenheitsspiel ein.
    Es war ein angenehmer, wenn auch schweißtreibender Nachmittag; und ich wusste, dass ich mein Ziel erreicht hatte, als Frank über die stets bestens funktionierende literarische Gerüchtebörse, deren Aktionär er in Auckland zu sein schien, hörte, dass Miss Louden mich als «normales, glückliches, gesundes
Mädchen
» beurteilt hatte.
    Der Scheck traf ein. Ich starrte ihn ungläubig an. Ich zeigte ihn Frank.
    «Was soll ich damit machen?», fragte ich. Ich hatte nieein Bankkonto besessen, denn wie so viele andere Einrichtungen waren auch Bankkonten «für andere Leute» gedacht. In unserer Familie hatte lediglich Myrtle jemals über ein Bankkonto verfügt, ein Postsparbuch, auf das sie in einer Woche drei Shilling und sechs Pence einzahlte und in der nächsten zwei Shilling und sechs Pence abhob und so den magischen Shilling übrigließ, der angeblich das Konto «offen» hielt. Als Myrtle starb, bekamen wir den Shilling und ein paar Pence zurück, und auf die Vorderseite kam der Stempelvermerk
Gelöscht, eingezogen
.
    Anstatt sich wie üblich auszuruhen, ging Frank an jenem Nachmittag mit mir und dem Scheck zur Bank von New South Wales, wo er mich mit dem Direktor bekanntmachte. Er könne mich als Kundin nachdrücklich empfehlen, sagte er und rühmte mich als Schriftstellerin.
    Mein nächster Schritt bestand darin, achtundsiebzig Pfund für einen Liegeplatz in einer Sechserkabine auf der
Ruahine
zu bezahlen, die Ende Juli von Wellington nach Southampton

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