Ein Fall für Kay Scarpetta
ordentlich einige Kleider: ein paar weiße Baumwollhosen, ein rotweiß gestreiftes, kurzärmliges Hemd und ein Büstenhalter. Die Kleidungsstücke waren zerknittert, als ob sie getragen und am Ende des Tages auf den Stuhl gelegt worden waren, wie ich es manchmal auch tue, wenn ich zu müde bin, um meine Kleider noch aufzuhängen.
Ich durchsuchte kurz die Toilette und das Badezimmer. Wenn man von dem Bett absah, war das Schlafzimmer sauber und ordentlich. Bis jetzt sah es so aus, als gehöre es nicht zum Modus operandi des Mörders, zu plündern oder irgend etwas zu stehlen. Marino beobachtete einen Officer von der Spurensicherung dabei, wie er die Kommoden öffnete.
"Was wissen Sie sonst noch über den Ehemann?" fragte ich ihn.
"Er ist im Examensjahr in Charlottesville, lebt dort während der Woche, kommt Freitagabend heim. Bleibt über das Wochenende hier und fährt dann am Sonntagabend wieder nach Charlottesville."
"Was studiert er?"
"Literaturwissenschaft, sagt er", antwortete Marino und sah überallhin, bloß nicht zu mir. "Er macht gerade seinen Magister."
"Worin?"
"Literatur", sagte er noch einmal und betonte dabei jede einzelne Silbe.
"Welche Art von Literatur?"
Seine braunen Augen blickten mich emotionslos an. "Amerikanische. Das erzählte er mir, aber ich habe den Eindruck, sein Hauptinteresse gilt dem Theater. Scheint gerade mitten in einem Stück zu stecken. Shakespeare. Hamlet, sagte er, glaube ich. Sagt, er hätte schon einige Rollen gespielt, einschließlich ein paar kleiner Rollen in Filmen, die hier in der Umgebung gedreht wurden, außerdem in einigen Werbespots."
Die Leute von der Spurensicherung beendeten ihre Arbeit. Einer von ihnen drehte sich um und verharrte, mit dem Pinsel in der Hand.
Marino deutete auf die Computerdisketten auf dem Tisch und rief so laut, daß es jeder hören konnte: "Sieht aus, als sollten wir unsere Nase mal in diese Dinger da stecken. Vielleicht ein Stück, das er gerade schreibt?"
"Wir können in meinem Büro einen Blick darauf werfen. Wir haben ein paar IBM-kompatible PCs", schlug ich vor.
"PCs", sagte er langsam. "Klar. Da ist mein RC natürlich nichts dagegen. Royal Crapola, Standardausgabe, schwarz, sperrig, schwer zu bedienen, nimmt den ganzen Raum ein."
Ein ID-Officer zog etwas unter einem Stapel mit Pullis in einer der unteren Schubladen hervor, ein Messer mit einer langen Klinge und einem Kompaß, der in den schwarzen Griff eingearbeitet war, und einem kleinen Schleifstein in einer Tasche des Etuis. Vorsichtig steckte er es in einen Plastikbeutel.
In derselben Kleiderkommode fand sich eine Schachtel mit Kondomen, was, wie ich Marino mitteilte, etwas Ungewöhnliches war, da Lori Petersen, nach dem, was ich im Schlafzimmer gesehen hatte, die Pille nahm.
Marino und die anderen Beamten fingen an, zynische Bemerkungen zum besten zu geben.
Ich zog meine Handschuhe aus und stopfte sie oben in meine Tasche. "Sie kann jetzt weggebracht werden", sagte ich.
Die Männer drehten sich im selben Moment um, als ob sie plötzlich an die vergewaltigte tote Frau auf dem zerknitterten, zerwühlten Bett erinnert worden wären. Ihre Lippen waren über den Zähnen zusammengezogen, als ob sie Schmerzen hätte, ihre Augen waren zu kleinen Schlitzen zugeschwollen und starrten blind nach oben. Der Krankenwagen wurde über Funk informiert, und einige Minuten später kamen zwei Sanitäter in blauen Overalls mit einer Bahre, die sie mit einem sauberen weißen Tuch bedeckt hatten.
Lori Petersen wurde gemäß meinen Anweisungen hochgehoben, die Bettlaken über ihr zusammengeschlagen; die behandschuhten Hände der Sanitäter berührten ihre Haut nicht. Sie wurde vorsichtig auf der Bahre abgelegt, das Tuch am Kopfende befestigt, damit keine Beweisstücke verlorengehen oder hinzugefügt werden konnten. Die Klebestreifen machten ein lautes, reißendes Geräusch, als sie abgezogen und um den Kokon befestigt wurden.
Marino folgte mir aus dem Schlafzimmer, und ich war überrascht, als er sagte: "Ich werde Sie zu Ihrem Wagen begleiten."
Matt Petersen stand da, als wir hinunter in den Korridor kamen. Sein Gesicht war leer, seine Augen glasig, er starrte mich an, verzweifelt, nach etwas suchend, was nur ich ihm geben konnte. Ein Wort des Trostes. Das Versprechen, daß seine Frau schnell gestorben war und nicht leiden mußte. Daß sie erst danach gefesselt und vergewaltigt wurde. Ich konnte ihm nichts sagen. Marino führte mich durch das Wohnzimmer und zur Tür hinaus.
Der Vorgarten
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