Ein Fall für Kay Scarpetta
ihr Artikel in der Zeitung erschienen war, war sie zu Amburgey gegangen. Sie hatte ihn schon länger im Verdacht gehabt, so gestand sie mir, weil er derjenige gewesen war, der ihr die Information über die falsch etikettierten PERK zukommen ließ. Er hatte den Serologiebericht auf dem Schreibtisch und einen Block, auf dem er sich Notizen über die "Brüche in der Beweiskette" und die "fehlenden Übereinstimmungen zwischen diesen Ergebnissen und denen früherer Untersuchungen" gemacht hatte.
Als Abby vor seinem berühmten chinesischen Schreibtisch saß, ging er hinaus und ließ sie eine Minute lang allein - lange genug, damit sie lesen konnte, was auf seinem Block stand. Es war offensichtlich, was er tun wollte. Seine Gefühle mir gegenüber waren kein Geheimnis. Abby war nicht dumm. Sie drehte den Spieß um. Letzten Freitag morgen war sie noch einmal zu ihm gegangen und hatte ihn mit dem Co mputereinbruch konfrontiert.
Er reagierte ausweichend, heuchelte ihr Panik vor, daß sie diese Dinge veröffentlichen könnte, aber er intrigierte weiter. Sie stellte ihm eine Falle, indem sie zugab, sie habe nicht genug in der Hand, um weiterzumachen. "Es ist nur einmal in den Computer eingebrochen worden", sagte sie ihm. "Wenn es noch einmal passiert, Dr. Amburgey, dann habe ich keine andere Wahl, als darüber und über andere Behauptungen, die mir zu Ohren gekommen sind, zu schreiben, denn die Öffentlichkeit muß wissen, daß es ein Problem im OCME gibt."
Es war noch einmal passiert.
Der zweite Computereinbruch hatte nichts mit den fingierten Zeitungsberichten zu tun, weil es nicht mehr der Mörder sein konnte. Es war der Commissioner.
"Übrigens", sagte Abby zu mir, als wir die Taschen aus dem Kofferraum hoben, "ich glaube nicht, daß Amburgey noch mal irgendwelche Schwierigkeiten machen wird."
"Ein Leopard kann sich kein anderes Fell anziehen", bemerkte ich und sah auf die Uhr.
Sie lächelte über ein Geheimnis, das sie nicht enthüllen würde. "Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie zurückkommen und feststellen, daß er nicht mehr in Richmond ist."
Ich stellte keine Fragen.
Sie hatte genug gegen Amburgey in der Hand. Irgend jemand mußte bezahlen. Bill würde sie nicht antasten.
Er hatte mich gestern angerufen, um mir zu sagen, daß er froh sei, daß es mir gutging und daß er gehört hätte, was geschehen war. Er äußerte sich nicht zu seinen eigenen Geschichten, und ich hatte nur eine kleine Anspielung gemacht, als er ganz ruhig meinte, er glaube nicht, daß wir uns noch einmal sehen sollten.
"Ich habe viel darüber nachgedacht, und ich glaube einfach, daß es nicht funktionieren würde, Kay."
"Du hast recht", stimmte ich zu, überrascht über die Erleichterung, die ich dabei verspürte. "Es würde nicht funktionieren, Bill."
Ich umarmte Abby herzlich.
Lucy runzelte die Stirn und kämpfte mit einem riesigen Koffer. "So ein Mist", jammerte sie. "Muttis Computer hat nur so eine blöde Textverarbeitung drauf. So ein Mist! Keine Datenbank oder irgendwas anderes."
"Wir gehen an den Strand." Ich nahm zwei Taschen über die Schulter und folgte ihr durch die offenen Glastüren. "Wir werden eine schöne Zeit haben, Lucy. Du kannst den Computer für ein Weilchen vergessen. Er ist nicht gut für deine Augen."
"Ein paar Kilometer von unserem Haus ist ein Software-Laden ..."
"Strand, Lucy. Du brauchst Ferien. Wir beide brauchen Ferien. Frische Luft, Sonne, es wird uns guttun. Du warst zwei Wochen lang in meinem Arbeitszimmer vergraben."
Ich hob die Taschen auf die Waage, richtete Lucys Kragen am Rücken und fragte sie, warum sie ihre Jacke nicht trug. "Die Klimaanlagen in den Flugzeugen sind immer zu stark."
"Tante Kay ..."
"Du wirst dich erkälten."
"Tante Kay!"
"Wir haben noch Zeit, ein Sandwich zu essen." "Ich habe keinen Hunger!"
"Du mußt was essen. Wir müssen in Dulles eine Stunde lang warten, und in dem Flugzeug von dort gibt es nichts zu essen. Du mußt etwas im Magen haben."
"Du klingst genau wie Oma!"
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