Ein Fall zu viel
akzeptieren.
»Willibald, ich habe das Besteck vergessen«, tönte Marianne aus der Küche. »Holst du es bitte aus dem Wohnzimmerschrank? Ich muss mich um die Rouladen und das Gemüse kümmern.«
»Mach ich, Schatz!« Aber so einfach war das gar nicht. Nachdem er zwei Schrankfächer vergeblich geöffnet hatte, fand er endlich das gute Besteck, das seine Frau von ihrer Mutter geerbt hatte und das nur zu ganz besonderen Anlässen zum Einsatz kam.
Als er gerade die letzte Gabel platziert hatte, ertönte die Türglocke. Eilig stürzte er in die Diele, um die Gäste zu empfangen. Jan Hendrik drückte ihm eine Flasche Wein in die Hand, dann umarmte er ihn. Danach war Sebastian an der Reihe. Zum ersten Mal umarmte ihn auch der Freund seines Sohnes. Das war Pielkötter nun doch unangenehm, aber ehe er weiter darüber nachdenken konnte, kam Marianne aus der Küche.
»Wie ich mich freue, dass es endlich mit eurem Besuch geklappt hat«, sagte sie zur Begrüßung und legte ihre Arme mit einer Selbstverständlichkeit um die beiden, die Pielkötter immer noch ein wenig überraschte. »Die Rouladen und die Beilagen sind auch schon fertig. Wenn jeder eine Schüssel mit ins Wohnzimmer nimmt, können wir sofort mit dem Essen beginnen. Willibald, bist du so nett und kümmerst dich um den Wein?«
Als sie wenig später am Tisch saßen, fühlte sich Pielkötter so entspannt wie schon lange nicht mehr. Das hatte mehrere Gründe. Das Essen schmeckte vorzüglich, und er genoss den harmonischen Umgangston an diesem Abend, womöglich erfüllte ihn heute sogar ein wenig Stolz auf seine Familie.
»Willibald, du hörst ja gar nicht zu«, nahm er plötzlich Mariannes Stimme wahr. »Was sagst du denn dazu?«
Fragend blickte Pielkötter in die Runde. Hatte er etwas Entscheidendes verpasst?
»Jan Hendrik und Sebastian wollen sich im nächsten Monat verloben.«
»Ja, nun, ja«, stotterte er leicht verwirrt. »Wenn das heute noch so üblich ist.«
»Uns ist herzlich egal, ob andere das passend finden«, erwiderte sein Sohn strahlend. »Hauptsache ist doch, dass wir beide dahinterstehen.«
»Darauf müssen wir jetzt aber anstoßen«, schaltete sich Marianne schnell ein, bevor eine längere Diskussion womöglich die gute Atmosphäre stören konnte.
Pielkötter hatte gerade Wein nachgeschenkt, da ertönte sein Diensthandy. Mit ungutem Gefühl nahm er das Gespräch an und lief in die Diele. Als er zurückkehrte, wirkte seine Miene versteinert.
»Tut mir leid, ich muss sofort los. Ein Toter am Hochofen V im Landschaftspark. Genaues weiß man noch nicht.«
»Willibald«, warf Marianne entrüstet ein. »Du kannst uns doch jetzt nicht von einer Minute auf die andere hier sitzen lassen.«
»Aber das ist meine Arbeit.«
»Die Barnowski heute für dich erledigt. Schließlich hast du frei, und er hat Dienst. Oder gehe ich da von einer falschen Annahme aus?« Inzwischen hatte ihre Stimme einen unangenehmen Unterton. »Höchstwahrscheinlich liegt noch nicht einmal ein Verbrechen vor. Sonst hätte man dir das bestimmt sofort gesagt.«
»Um das zu beurteilen, muss ich unbedingt selbst dahin.«
»Und Barnowski traust du das nicht zu?«
»Zumindest kann der Bursche in dieser Beziehung noch einiges lernen, und zwei Augenpaare sehen mehr als eines.«
»Aber die Spurensicherung ist doch auch vor Ort«, mischte sich Jan Hendrik ein. »Deren Auswertung bekommst du sowieso hinterher.«
Pielkötter seufzte. Den Ausklang dieses Abends hatte er sich wirklich anders vorgestellt. »Es tut mir leid«, erwiderte er. »Den ersten persönlichen Eindruck kann man nicht ersetzen. Unsere gemütliche Runde holen wir so schnell wie möglich nach.«
Während er sich verabschiedete, traf ihn aus Mariannes Augen ein resignierter Blick. Scheiße, dachte er, warum fängt alles wieder von vorne an? Gerade jetzt, so kurz nach der Versöhnung.
3. Kapitel
Barnowski fuhr sich mehrmals durch das volle schwarze Haar und seufzte laut. Fast bedauerte er es, Pielkötter angerufen zu haben. Okay, sein Chef hatte mehr als einmal betont, dass er bei einem neuen Fall sofort hinzugezogen werden wollte, auch wenn er keine Bereitschaft hatte. Big Boss zu übergehen, hätte bestimmt Stunk gegeben.
Würde der Alte wieder einmal aus einer kleinen Maus eine Riesenratte machen und einen großen Arbeitseinsatz auslösen? Aber er hatte mit seiner dicken Spürnase mehr als einmal den richtigen Riecher gehabt. Ob Erwin Lützows Sturz vom Hochofen tatsächlich Ermittlungen erforderte, für die
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