Ein Fest der Liebe - Nacht der Wunder
Wunder?”, fragte Jack verwirrt.
“Dich und deine Ma und deine Schwestern hier bei mir zu haben, wo ihr hingehört”, antwortete Ben. Und dann tat er etwas, was er noch nie zuvor getan hatte. Er zog Jack auf seinen Schoß, drückte ihn fest an sich und küsste ihn auf den Kopf. “Jawohl, genau dieses Wunder habe ich gebraucht.”
Zebulon Thaddings strich ein Streichholz an, um den Herd in dem prächtig ausgestatteten Salon anzufeuern. Alle Lampen waren handbemalt, die Teppiche exotisch, die Möbel elegant, und auf den Gemälden tummelten sich nackte Menschen.
“Deine Schwester hat es als Schneiderin weit gebracht”, sagte er zu Marietta, die sich mit besorgtem Erstaunen umsah. Tatsächlich wusste er im Gegensatz zu seiner Frau schon lange, wie Clarinda sich den teuren Schmuck und die vornehme Kleidung leisten konnte, die sie bei ihrem Besuch in Phoenix getragen hatte. Es hatte einfach keine andere plausible Erklärung dafür gegeben.
Vor Kurzem hatte Zebulon seine Arbeit als Leiter einer indianischen Schule verloren – und damit auch das winzige Gehalt und ebenso winzige Haus, das dem Schulleiter und seiner Frau gezahlt wurde. In Wahrheit hatten sie darauf gehofft, dass Clarinda sie und Woodrow nicht nur für einen kurzen Besuch, sondern für immer aufnehmen würde. Sie wussten nicht, wo sie sonst hingehen sollten. Deshalb hatte Zebulon sein letztes Geld für die Zugtickets nach Indian Rock ausgegeben.
Der Herrgott allein wusste, wo sie als Nächstes hingehen sollten, aber zumindest hatten sie jetzt erst einmal ein Dach über dem Kopf und eine gefüllte Speisekammer.
Woodrow, der bereits frisches Vogelfutter bekommen hatte, saß in seinem schimmernden Käfig und blickte sich um.
“Warum sind diese ganzen Leute … nackt?” Bei der Betrachtung eines großen anstößigen Bilds über dem Kamin, rang Marietta entsetzt die Hände. Nackte Männer und Frauen lagen in einem Wald, die Gliedmaßen ineinander verschlungen aßen sie Weintrauben und tranken aus verzierten Bechern.
“Nackt!”, krächzte Woodrow. “Splitternackt!”
Woodrow wiederholte meist nur Worte, doch manchmal, wie jetzt, fügte er auch etwas aus seinem eigenen Repertoire hinzu. Zebulon musste lächeln.
Er lief über den weichen türkischen Teppich zu seiner Frau und nahm sie in die Arme. All die Jahre war sie eine gute Gefährtin gewesen, hatte sich nie über ihre Armut beklagt, nie ihrer großen Enttäuschung Ausdruck verliehen, dass sie keine Kinder bekommen konnten.
“Meine Liebste.” Er räusperte sich. “Wegen Clarinda …”
Marietta sah ihn mit Tränen in den sanften Augen an. “Sie ist keine Schneiderin, oder?”
Er schüttelte den Kopf. “Nein.”
“Was werden wir nun tun, Zebulon?”
Plötzlich brannten seine eigenen Augen. Er blinzelte heftig. “Ich weiß es nicht.”
“Vielleicht wird Clarinda bald zurückkommen”, überlegte Marietta hoffnungsvoll, ihr Gesicht hellte sich ein wenig auf.
“Vielleicht.” Zebulon bezweifelte das.
“Sollten wir ihr nicht besser ein Telegramm schicken oder einen Brief schreiben? Irgendjemand in Indian Rock muss doch ihre Adresse haben.”
Der Geruch nach abgestandenem Zigarrenrauch hing in der Luft. Der Raum wirkte, als ob Clarinda ihn nur einen Moment lang verlassen hätte.
“Du solltest dich eine Weile hinlegen, meine Liebe. Ich koche uns eine schöne Kanne Tee.”
Nach einem kurzen Zögern nickte Marietta. Als Pfarrerstochter konnte sie das Offensichtliche noch nicht ganz akzeptieren – dass ihre lebhafte jüngere Schwester ein Haus von zweifelhaftem Ruf geführt hatte. Sie legte sich auf das lange Plüschsofa vor dem Kamin, und Zebulon deckte sie liebevoll mit einer Wolldecke zu.
“Tee!”, zwitscherte Woodrow, als Zebulon das Zimmer verlassen hatte. “Tea for two!”
Als Lizzie die Augen öffnete, war der Raum erfüllt von Schneefunkeln. Ihre Brüder standen neben dem Bett. Nun, zumindest John Henry stand – Doss und Gabriel hüpften zu ihren Füßen auf der Matratze herum und schrien: “Aufwachen! Aufwachen!”
Lachend stützte sie sich auf die Ellbogen, schüttelte ihr Kopfkissen auf und lehnte sich wieder zurück.
Gleich darauf kam Lorelei ins Zimmer, um die Jungen trotz ihres lauten Protestes zu verscheuchen. Wollte Lizzie etwa den ganzen Tag schlafen? Würden sie denn
nie
mehr nach Hause kommen, um die Geschenke auszupacken?
Nur John Henry blieb zurück. Mit ernster Miene betrachtete er Lizzie.
Sie zerzauste sein Haar.
“Ich habe dich in unserem
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