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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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wäre zwischen dem letzten Satz ihrer Mutter und diesem eine halbe Stunde vergangen, aber in Wahrheit waren es nur Minuten gewesen. Minuten, in denen Nina einen Blick auf die Wahrheit ihres eigenen Lebens erhascht hatte.
    »Gefangen«, murmelte die Mutter und schüttelte den Kopf. »Ich versuche zu sterben. Versuche es … bin aber zu schwach, um mich umzubringen …« Endlich wandte sie sich vom Fenster ab und blickte sie an. »Euer Vater war einer der amerikanischen Soldaten, die das Arbeitslager befreiten. Damals waren wir in Deutschland. Es war Ende des Krieges. Jahre später. Als er mich das erste Mal ansprach, beachtete ich ihn gar nicht. Ich dachte, wenn ich stärker gewesen wäre, hätten meine Kinder diesen Tag, als sich die Lagertore öffneten, miterleben können. Als Evan mich also nach meinem Namen fragte, flüsterte ich: Anja. Später hätte ich das zurücknehmen können, aber es gefiel mir, ihren Namen zu hören, wenn jemand mich ansprach. Es tat weh, und der Schmerz war mir willkommen. Das war das mindeste, womit ich mich bestrafen konnte. Ich ging mit eurem Vater – ich heiratete ihn –, weil ich wegwollte und er mir die einzige Möglichkeit dazu bot. Ich hätte nie damit gerechnet, noch mal von vorn anfangen zu können – dazu war ich zu krank. Ich erwartete, ich hoffte zu sterben. Aber ich starb nicht. Und dann … wie sollte es möglich sein, Evan nicht zu lieben? So. Das war’s. Jetzt wisst ihr alles.« Sie streckte die Hand aus, nahm ihre Tasche und schwankte leicht, als wäre ihr beim Erzählen der Geschichte das Gleichgewicht verlorengegangen. Dann schritt sie zur Tür.
    Nina stand sofort auf. Sie und Meredith gingen, ohne sich irgendwie zu verständigen, gleichzeitig zu ihrer Mutter und stützten sie.
    Als jede von ihnen einen Arm fasste, schien sie noch stärker zu taumeln und fast zu fallen. »Ihr solltet nicht –«
    »Sag uns nicht mehr, was wir nicht fühlen sollten, Mom«, erwiderte Nina sanft.
    »Schieb uns nicht mehr weg«, bat Meredith, berührte ihr Gesicht und streichelte ihr die Wange. »Du hast so viel verloren.«
    Sie gab einen Laut von sich, als schluckte sie.
    »Aber uns nicht«, sagte Nina, und spürte, wie ihr Tränen brennend in die Augen stiegen. »Uns wirst du niemals verlieren.«
    Die Beine der Mutter gaben nach. Sie wollte einknicken wie ein kaputtes Zelt, aber Nina und Meredith waren da und hielten sie aufrecht. Sie brachten sie zurück zu ihrem Stuhl.
    Dann knieten sie sich vor sie hin und blickten zu ihr auf, genau wie schon so oft in ihrem Leben. Aber jetzt war die Geschichte vorbei, zum größten Teil erzählt, und von nun an würde es eine andere Geschichte sein. Von nun an würde es ihre Geschichte sein.
    Ihr ganzes Leben hatte Nina im schönen Gesicht ihrer Mutter nur die scharfen Wangenknochen, die harten Augen und einen Mund gesehen, der niemals lächelte.
    Jetzt sah Nina durch diese harten Züge hindurch. Sie waren aufgesetzt, hart erkämpft; eine Maske über der darunterliegenden Verletzlichkeit.
    »Ihr solltet mich hassen«, sagte die Mutter kopfschüttelnd.
    Meredith richtete sich gerade genug auf, um ihre Hände auf die ihrer Mutter zu legen. »Wir lieben dich.«
    Sie erschauerte, als hätte sie kurz eine eisige Brise gestreift. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und als Nina das sah – es war das erste Mal, dass sie ihre Mutter so sah –, kamen auch ihr die Tränen.
    »Ich vermisse sie so sehr«, sagte die Mutter, und dann weinte sie. Wie lange wohl hatte sie diesen Satz mit reiner Willenskraft zurückgehalten? Und wie fühlte es sich an, ihn endlich auszusprechen?
    Ich vermisse sie.
    Wenige Worte nur.
    Die alles enthielten.
    Nina und Meredith standen wieder auf und hielten ihre Mutter fest, damit sie sich ausweinen konnte.
    Zum ersten Mal spürte Nina, wie sich eine Umarmung mit ihrer Mutter anfühlte, und erkannte, wie sehr sie sich immer danach gesehnt hatte, von dieser bemerkenswerten Frau gehalten zu werden.
    Als sie sich schließlich von ihnen löste, war ihr Gesicht verweint, ihre Frisur ruiniert und einzelne Strähnen fielen ihr über die rotgeränderten Augen, aber sie hatte noch nie so schön ausgesehen. Sie lächelte und legte jeder ihrer Töchter eine Hand auf die Wange. » Moja duscha«, sagte sie leise zu ihnen.
    Erst als Maxim neben Wassilis Bett aufstand und sich räusperte, fiel ihnen ein, dass sie nicht allein waren.
    »Das war einer der denkwürdigsten Berichte über die Belagerung Leningrads, die ich je gehört

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