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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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ein. Ich rieche sie im Stoff.
    In der Manteltasche finde ich das Foto von ihr und Leo, das ich ins Futter genäht habe. Siehst du, hatte ich zu ihr gesagt, als wir es dort versteckten – das war damals, vor einer Ewigkeit, als die Kinder zum ersten Mal evakuiert wurden –, jetzt ist dein Bruder immer bei dir.
    Ich nehme den kleinen Zettel mit ihrem Namen und schließe meine Finger darum. Wie lange sitze ich da im Schnee, streichle den Mantel und denke an das Lächeln meiner Tochter?
    Eine Ewigkeit.
    Niemand will mir eine Waffe geben. Jeder Mann, den ich anspreche, sagt mir, ich solle mich beruhigen, morgen würde ich mich besser fühlen.
    Ich hätte eine Frau fragen sollen, eine andere Mutter, die ihre beiden Kinder in den Tod geschickt hat.
    Aber vielleicht bin ich die einzige Mutter, die …
    Jedenfalls ist der Schmerz unerträglich. Ich will auch nicht, dass er erträglich wird. Ich verdiene es, so unglücklich zu sein. Also gehe ich zu meinem Bett zurück, ziehe Mantel und Stiefel an und marschiere los.
    Wie ein Geist vagabundiere ich durch die verschneite Landschaft. Es sind so viele wandelnde Tote unterwegs, dass niemand versucht, mich aufzuhalten. Immer wenn ich Schüsse oder Bomben höre, gehe ich darauf zu. Wenn meine Füße nicht so weh getan hätten, wäre ich gerannt.
    Am achten Tag finde ich, wonach ich gesucht habe.
    Die Frontlinie.
    Ich gehe an den Russen vorbei, meinen Landsleuten, die nach mir rufen und versuchen, mich aufzuhalten.
    Ich löse mich von ihnen, kämpfe mich frei, wenn es sein muss, trete, schlage und gehe immer weiter.
    Ich gehe zu den Deutschen und stelle mich vor ihren Waffen auf.
    »Schießt«, sage ich und schließe die Augen. Ich weiß, was sie sehen, wie ich aussehe: wie eine verrückte, halbtote alte Frau mit einem kaputten Koffer und einem schmutzigen grauen Stoffkaninchen in den Händen.

Sechsundzwanzig
    »Aber ich habe kein Glück«, sagte die Mutter seufzend.
    Auf diese letzte, leise Bemerkung folgte Schweigen.
    Nina wischte sich die Tränen aus den Augen und starrte ihre Mutter sprachlos an.
    Wie hatte sie die ganze Zeit solchen Schmerz ertragen können? Wie konnte ein Mensch all das überleben ?
    Die Mutter stand rasch auf. Sie trat einen Schritt nach links und hielt dann inne. Dann wandte sie sich nach rechts und verharrte wieder. Es war, als wäre sie plötzlich aus einem Traum erwacht und sähe sich in einem fremden Zimmer ohne Fluchtweg. Schließlich ließ sie die Schultern sinken, ging zum Fenster und starrte hinaus.
    Nina hakte sich bei Meredith ein, die genauso elend wirkte, wie sie sich fühlte.
    »Mein Gott«, sagte Maxim schließlich und stellte den Kassettenrecorder aus. Das überdeutliche Klicken in dem stillen Zimmer erinnerte Nina daran, dass die Geschichte, die sie gerade gehört hatten, nicht nur für ihre Familie wichtig war.
    Die Mutter blieb am Fenster und presste ihre weit gespreizten Finger gegen die Brust, als dächte sie, ihr Herz würde aufhören zu schlagen oder aus ihrem Körper springen.
    Was genau sah sie jetzt? Ihr einst prächtiges Leningrad, das sich in eine zerbombte Eiswüste verwandelte, wo die Menschen auf der Straße starben und die Vögel vom Himmel fielen?
    Oder vielleicht Saschas Gesicht? Ihre kichernde Tochter? Oder das letzte, herzzerreißende Lächeln ihres Sohnes?
    Nina starrte die Frau an, die sie aufgezogen hatte, und erkannte endlich die Wahrheit.
    Ihre Mutter war eine Löwin. Eine Kriegerin. Eine Frau, die sich für ein Leben in Elend entschieden hatte, weil sie aufgeben wollte und nicht wusste, wie.
    Und mit dieser Erkenntnis kam eine weitere, wesentlich wichtigere. Plötzlich sah Nina ihr eigenes Leben im Fokus. All die Jahre war sie durch die Welt gereist, um ihre eigene Wahrheit im Leben anderer Frauen zu suchen.
    Aber sie war die ganze Zeit da gewesen, zu Hause, bei der einen Frau, die sie noch nicht mal zu verstehen versucht hatte. Kein Wunder, dass Nina nie das Gefühl gehabt hatte, fertig zu sein, dass sie nie die Fotos dieser Frauen hatte veröffentlichen wollen. Ihre Suche hatte sie die ganze Zeit zu diesem Moment, zu dieser Erkenntnis geführt. Sie hatte sich hinter dem Fotoapparat versteckt, durch eine Glaslinse geblickt und versucht, sich selbst zu finden. Doch wie sollte sie das? Konnte eine Frau ihre Geschichte kennen, wenn sie nicht die ihrer Mutter kannte?
    »Stattdessen wurde ich gefangen genommen«, sagte die Mutter, ohne den Blick vom Fenster zu lösen.
    Nina war verwirrt. Sie hatte das Gefühl, als

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