Ein Girl zum Pferde stehlen
verhindern, dass die ahnungslos in die heimtückische Falle tappten.
Doch auch das war alles andere als problemlos.
Seit sie Gus wiedergetroffen hatte, war ihr klar, dass sie ihm mehr als nur freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Umso mehr schmerzte sie, dass sie ihm nicht die volle Wahrheit sagen konnte. Hätte sie ihm verraten, was die Gauner im Schilde führten, hätte er sich zweifellos sofort auf den Weg gemacht, um sich den Giftmischer und seinen Kunden vorzuknöpfen. Ewans und Patricia würden sofort begreifen, wer sie verraten hatte. Dann würden sie ihr bestimmt das Gegenmittel verweigern oder – schlimmer noch – es sogar vernichten. Die Folgen, die das auf ihre Gesundheit haben würde, wagte Carlotta sich nicht auszumalen.
Also blieb ihr nur noch eine einzige Möglichkeit zu handeln: Sie musste verhindern, dass die Pferdezüchter ihre Herde wie gewohnt an den See zum Saufen brachten. Anschließend würde sie zu Ewans und Patricia zurückkehren, ihnen die reumütige Ausreißerin vorspielen – und darauf hoffen, dass die beiden ihr die Story abkauften. Wenn sie dann endgültig geheilt war, würde sie die erste sich bietende Gelegenheit nutzen, das Leben auf der Straße endgültig hinter sich zu lassen und irgendwo neu anzufangen. Auch wenn das bedeutete, dass sie Gus wahrscheinlich niemals wiedersehen würde. Denn nach einem solchen Vertrauensbruch wäre es nur allzu verständlich, wenn er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte.
Carlotta spürte, wie ihr Herz immer schwerer wurde.
Ihr war klar, dass sie so schnell wie möglich handeln musste, wenn sie nicht riskieren wollte, dass ihre Gefühle sie sich doch noch einmal anders entscheiden lassen würden.
»Sei mir nicht böse … es ist besser so.«
Sie hauchte Bailey einen letzten zarten Kuss auf die Wange, woraufhin der sich schlafend zur Seite drehte. Carlotta stand vorsichtig auf. Sie bückte sich, um nach ihren Kleidern zu greifen, zuckte dann aber erschrocken zurück.
Ihr Liebhaber hatte sich im Schlaf auf ihre Sachen gerollt.
Nun war es unmöglich, an ihre Bluse und ihren Rock zu kommen, ohne ihn dabei aufzuwecken.
Die Lippen der jungen Frau formten sich zu einem lautlosen Fluch.
Auch das noch. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Plan in die Tat umzusetzen, lediglich mit einem dünnen Unterkleid am Leib und Schuhen an den Füßen.
Sie stieß ein tiefes Seufzen aus. »Ich hoffe, du wirst irgendwann einmal begreifen, was ich deinetwegen alles auf mich genommen habe«, wisperte sie dem Schlafenden zu.
Ein langgezogenes Wiehern ließ sie sich umwenden.
»Das ist wohl ein Zeichen, dass ich nicht länger herumtrödeln soll«, murmelte sie. »Also gut. Dann los.« Nach einem letzten Blick auf Bailey eilte sie der Pferdekoppel entgegen.
Der weiße Hengst, der mittlerweile das Leittier der kleinen Herde war, beäugte die junge Frau misstrauisch, die sich kurz darauf an den Seilen der Umzäunung zu schaffen machte.
Carlotta schleuderte die Stricke zu Boden, dann betrat sie langsam die Weide – sorgsam darauf bedacht, die Tiere durch hektische Bewegungen nicht noch mehr zu erschrecken.
Ihr Plan war es, die Pferde zu entführen. Im günstigsten Fall würde es ihr gelingen, die gesamte Herde an eine Stelle zu bringen, die weit genug vom Heaven’s Eye Lake entfernt war, dass der See als Tränke zunächst nicht mehr in Frage kam. Wenn dann verendete Wildtiere an seinem Ufer gefunden werden würden, würden die Züchter selbst begreifen, welche Gefahr von dem Gewässer ausging. Im ungünstigsten Fall würden die Pferde nicht zusammenbleiben, sondern sich in alle Richtungen zerstreuen. Dann hätten Bailey und Cranston eine Menge Arbeit damit, die Tiere wieder einzufangen. Aber auch dabei würde genug Zeit vergehen, um sie vor den Folgen des Giftanschlags zu bewahren.
Carlotta wurde sich plötzlich bewusst, dass sie schon seit mehreren Jahren auf keinem Pferderücken mehr gesessen hatte. Genaugenommen seit dem Tag, als die fahrenden Mediziner sie bei sich aufgenommen hatten. Zuvor hatte ihr ihr Dad das Reiten beigebracht. Bevor das heimtückische Fieber Mom und ihn dahingerafft hatte. Ob es tatsächlich zutraf, dass man Fertigkeiten, die man als Kind gelernt hatte, nie wieder verlor? Das herauszufinden, würde sie schon bald die Gelegenheit haben.
»Ganz ruhig, aller Junge … du brauchst keine Angst vor mir zu haben …« Beschwichtigend auf ihn einredend, näherte sie sich dem weißen Hengst. »Ich will dir nichts tun …
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