Ein Glas voll Mord
wenigstens so lange, bis sie sich wieder halbwegs gefangen hatte.
Als sie ein paar Minuten später wiederkam, nach außen hin ein wenig gefasster und mit einem Blecheimer in der Hand, hatten die beiden anderen das Einmachglas aus dem altertümlich hohen, elektrischen Kühlschrank genommen und waren dabei, ausführlich den Inhalt zu beriechen.
»Ich finde, sie riechen normal«, sagte Marion.
»Das heißt nichts«, antwortete Dr. Druffitt. »Es könnte Botulismus sein, eine bakterielle Lebensmittelvergiftung, die viel tödlicher ist als eine normale Lebensmittelvergiftung. Selbst eingemachte grüne Bohnen sind ein gefährlicher Nährboden für Bakterien, weil sie einen außergewöhnlich niedrigen Säuregehalt haben. Aggie hätte es besser wissen müssen.«
»Aber Tante Aggie hat sie persönlich eingemacht«, sagte Marion, »und du weißt, wie pingelig sie war.«
»Und ich weiß auch, dass sie siebenundachtzig Jahre alt war. In diesem Alter kann einem durchaus mal ein Fehler unterlaufen, oder? Wie auch immer, ich werde dieses Einmachglas morgen mit dem ersten Bus zur Analyse bringen. Und den Mageninhalt sollte ich auch untersuchen lassen. Hol mir mal einen Spachtel und ein Gefäß mit Deckel.«
Janet hatte angefangen, Sägemehl auf das Erbrochene zu streuen, vorsichtig, damit kein Sägemehl auf die alte Frau fiel, die da auf dem Boden lag und die sie innig geliebt hatte.
»Konnten Sie damit nicht warten, bis ich meine Proben genommen habe?«, kläffte der Doktor.
»Nein, konnte ich nicht.« Warum nicht, das ging ihn nichts an. Janet würde niemals, wirklich niemals irgendjemandem von ihrer letzten Verabredung mit Roy erzählen.
Die ganze Woche über war ihr übel gewesen. Dann hatte sie einen Stich auf ihrem Körper entdeckt. Sie dachte, er stamme von irgendeinem Insekt und dass er schon verschwinden würde, wenn sie weiterarbeitete und so tat, als sei er nicht da. Aber die Schmerzen verschlimmerten sich.
Am Freitag fühlte sie sich immer noch scheußlich, aber Roy wollte an diesem Tag seinen Geburtstag feiern, im großen Stil, und sie wollte unter keinen Umständen absagen. In den letzten Monaten hatte Roy ihr allen Grund gegeben, zu glauben, sein Glück bestünde darin, mit ihr zusammen zu sein. Zwar gab es Hinweise von ihren Kolleginnen, dass sie nicht das einzige Mädchen dieses Glaubens war; aber natürlich glaubte Janet, ihre Kolleginnen seien bloß eifersüchtig.
Also hatte sie eine Flasche Champagner kaltgestellt, und als Roy sie abholte, nahm sie ein paar Schlucke, in der Hoffnung, ihren Magen damit zu beruhigen; er und ihre Mitbewohnerinnen tranken den Rest. Dann zogen sie los in ein Restaurant – und in dem Moment, als Janet der Geruch von Essen in die Nase stieg, wurde ihr so schlecht, dass sie hinausrennen und sich quer über den ganzen Bürgersteig erbrechen musste.
Als wäre das noch nicht schlimm genug, kamen in diesem Moment ein paar Freunde von Roy vor dem Restaurant an. Sie war zu elend, um zu hören, was sie sagten – aber sie ahnte, worüber sie lachten. Roy war außer sich. Er bugsierte sie in ein Taxi, gab dem Fahrer fünf Dollar und ihre Adresse, und stürmte davon. Später erinnerte sie sich nicht mehr, ob sie es geschafft hatte, den Fahrer zu überzeugen, dass sie nicht betrunken, sondern krank war; jedenfalls setzte er sie vor der Notaufnahme des Krankenhauses ab und fuhr weg, ohne ihr anzubieten, sie hineinzubegleiten. Irgendwie schaffte sie das alleine – und die Aufnahme war ein Albtraum, denn sie wusste nicht, wo sie war, und wegen der Schmerzen konnte sie sich kaum an ihren eigenen Namen erinnern. Roy schickte nicht mal eine Karte mit guten Wünschen.
Nicht, dass er von Janets Blinddarmdurchbruch nichts erfahren hätte. Sobald sie dazu in der Lage war, informierte Janet das Büro. Die Sekretärin des Chefs kam sofort, in ihrer Mittagspause, mit einem Strauß Blumen und hatte Annabelle und Bert schon informiert. Alice und Moira schauten ein paar Mal nach Feierabend vorbei – und irgendwann hatte Janet bei einem dieser Besuche den Mut aufgebracht, Roys Namen zu erwähnen. Moira hatte Alice einen Blick zugeworfen, Alice war rot geworden und hatte gesagt: »Oh, es geht ihm gut. Soll ich ihn von dir grüßen?« Das war das Ende ihrer großen Romanze gewesen.
Aber Janet gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Gefühle auf- und abdrehen können wie einen Wasserhahn – und das war einer der Gründe, warum sie den Anblick dieses Küchenbodens nicht ertrug. Sie holte den
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