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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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eine Übergangszeit geheilt werden und daß sich Machtpolitik nicht „beseitigen" läßt, sondern nur für gute oder böse Zwecke verwandt werden kann. Wenn man die Wahl zu treffen hatte zwischen zwei materialistischen Philosophien, dann konnte kein intelligenter Mensch nach 1917 die Lehre des automatisch funktionierenden Fortschrittes wählen, von der so viele einflußreiche Leute damals annahmen, daß sie die einzige Grundlage der Demokratie sei. Die Wahl schien zwischen einer extremen Rechtspartei, die entschlossen war, die Macht zur Vernichtung menschlicher Freiheit zu benutzen, und einer Linken Partei zu liegen, die anscheinend eifrig bemüht war, sie zu gebrauchen, um die Menschheit zu befreien. Die westliche Demokratie ist nicht so unreif oder so materialistisch, wie sie dies in der traurigen Waffenstillstandszeit zwischen den Kriegen war. Doch es hat zwei Weltkriege gebraucht und zwei totalitäre Revolutionen, um ihr langsam beizubringen, daß es nicht ihre Aufgabe ist, es dem Fortschritt zu überlassen, die Arbeit für sie zu leisten, sondern eine neue Möglichkeit für eine Weltrevolution zu schaffen, indem sie die Zusammenarbeit freier Völker plant.
    Wenn Verzweiflung und Einsamkeit die Hauptmotive für eine Bekehrung zum Kommunismus waren, so wurden sie wesentlich verstärkt durch das christliche Gewissen. Auch hier empfand der Intellektuelle, selbst wenn er das orthodoxe Christentum vielleicht aufgegeben hatte, seine Gewissensbisse viel schärfer als viele seiner nicht nachdenkenden Nachbarn, die gute Kirchgänger waren. Er wurde sich zum mindesten über die Unbilligkeit des Lebenszustandes und der Vorrechte klar, die er genoß, gleichviel, ob sie ihm auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Klasse oder einer Bildungsschicht zufielen. Der Appell des Kommunismus an das Gefühl ging Hand in Hand mit den Opfern, die er sowohl in materieller wie geistiger Beziehung von dem Bekehrten verlangte. Man kann das Eingehen auf diesen Appell masochistisch nennen oder es als das ernsthafte Verlangen beschreiben, der Menschheit zu dienen. Doch wie man es auch immer benennt, die Idee einer aktiven Kampfgemeinschaft, mit der ein persönliches Opfer und die Beseitigung der Rassen- und Klassenunterschiede verbunden waren, hatte in jeder westlichen Demokratie eine zwingende Kraft. Die Anziehungskraft der üblichen politischen Partei liegt in dem, was sie ihren Mitgliedern bietet; die Anziehungskraft des Kommunismus lag darin, daß er nichts bot und alles verlangte, einschließlich der Preisgabe der geistigen Freiheit. Hier ist in Wahrheit die Erklärung eines Phänomens, das viele Beobachter verwirrt hat. Wie konnten diese Intellektuellen die Dogmatik Stalins akzeptieren? Die Antwort hierauf wird man auf den Seiten verstreut finden, die hier folgen. Für den Intellektuellen sind materielle Annehmlichkeiten verhältnismäßig unwichtig; er legt am meisten Wert auf die geistige Freiheit. Die Stärke der katholischen Kirche hat immer darin gelegen, daß sie ein kompromißloses Opfer dieser Freiheit verlangt und den geistigen Hochmut als eine Todsünde verdammt. Der kommunistische Novize, der seine Seele dem kanonischen Gesetz des Kremls unterwirft, empfand etwas von der Erlösung, die der Katholizismus ebenfalls den vom Vorrecht der Freiheit ermatteten und geplagten Intellektuellen bringt.
    Wenn einmal der Verzicht geleistet ist, dann wird der Geist, anstatt frei arbeiten zu können, der Sklave eines höheren unbestrittenen Zieles. Die Wahrheit zu verleugnen ist eine Dienstleistung. Dieses ist natürlich der Grund, weswegen es zwecklos ist, mit einem Kommunisten irgendeinen besonderen politischen Aspekt zu diskutieren. Jeglicher intellektuelle Kontakt, den man mit ihm hat, zieht zwangsläufig einen Angriff auf seine Glaubensgrundlagen und eine seelische Auseinandersetzung nach sich. Denn es ist sehr viel einfacher, das Opfer geistigen Hochmutes auf dem Altar der Weltrevolution niederzulegen als es wieder zurückzuholen.
    Dies mag einer der Gründe sein, weswegen der Kommunismus mehr Erfolg in katholischen als in protestantischen Ländern gehabt hat. Der Protestant ist, wenigstens ursprünglich, aus Gewissensgründen Gegner einer geistigen Unterwerfung unter irgendeine Oberherrschaft. Er erhebt den Anspruch, selber durch die innere Erleuchtung zu wissen, was recht und unrecht ist, und die Demokratie ist für ihn nicht nur eine bequeme oder eine gerechte Regierungsform, sondern ein Gebot der menschlichen Würde.

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