Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
hielt mir ihre geöffnete Hand entgegen. »›Iss niemals einen Pilz, den du nicht kennst‹«, zitierte sie. »›Es gibt viele giftige Sorten, und sie zu unterscheiden, ist Aufgabe der Experten‹. Roger hat sie gefunden. Sie wachsen in einem Ring da drüben neben dem Baumstamm.«
    Feuchte, fleischige Hütchen, blassbraun mit weißen, warzenartigen Flecken, die offenen Lamellen und schlanken Stiele so hell, dass sie im Schatten der Fichte beinahe zu phosphoreszieren schienen. Sie hatten ein hübsches, erdiges Aussehen, das ihre Tödlichkeit Lügen strafte.
    »Krötenschwämme«, sagte ich halb zu mir selbst und nahm ihr mit spitzen Fingern einen der Pilze aus der Hand. » Agaricus pantherinus – so wird man sie zumindest nennen, sobald jemand dazu kommt, sie ordentlich zu benennen. Pantherinus , weil sie so schnell tödlich wirken – wie eine Raubkatze.«
    Ich konnte sehen, wie sich Briannas Unterarm mit Gänsehaut überzog und sich ihre weichen, rotgoldenen Härchen aufstellten. Sie ließ ihre Hand kippen und warf die übrigen tödlichen Pilze auf den Boden.
    »Welcher denkende Mensch isst denn Giftpilze?«, fragte sie und wischte sich mit einem leichten Schauder die Hand am Rock ab.
    »Ein Mensch, der es nicht besser weiß. Vielleicht ein Mensch, der Hunger hat«, antwortete ich leise. Ich hob die Hand des kleinen Mädchens auf und zeichnete die zarten Knochen ihres Unterarms nach. Ihr Bäuchlein war leicht aufgetrieben, ob durch Unterernährung oder postmortale Veränderungen, konnte ich nicht sagen – doch ihre Schlüsselbeine waren so scharf
wie Sensenklingen. Die Leichen waren alle dünn, wenn auch nicht total ausgehungert.
    Ich blickte in die tiefblauen Schatten des Berghangs oberhalb der Hütte. Es war noch zu früh im Jahr, um auf Erntezüge zu gehen, doch im Wald gab es Nahrung im Überfluss – für jene, die sie erkennen konnten.
    Jamie trat neben mich, kniete sich hin und legte mir seine kräftige Hand leicht auf den Rücken. Trotz der Kälte zog sich ein Schweißrinnsal über seinen Hals, und sein dichtes, rotes Haar war an den Schläfen dunkel.
    »Das Grab ist fertig«, sagte er mit leiser Stimme, als könnte er das Kind erschrecken. »Ist es das, was das Kind umgebracht hat?« Er wies nickend auf die verstreuten Pilze.
    »Ich glaube schon – und die anderen auch. Habt ihr euch hier umgesehen? Weiß irgendjemand, wer sie waren?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Keine Engländer; die Kleider sind falsch. Deutsche wären sicher nach Salem gegangen; sie lassen sich am liebsten bei ihresgleichen nieder. Vielleicht sind es Holländer gewesen.« Er deutete auf die Holzpantinen an den Füßen der alten Frau, die vom langen Tragen fleckig und rissig geworden waren. »Es sind keine Bücher oder Schriftstücke übrig geblieben, falls es je welche gegeben hat. Nichts, was uns ihren Namen verraten würde. Aber -«
    »Sie waren noch nicht lange hier.« Eine leise, gebrochene Stimme ließ mich aufblicken. Roger war zu uns gekommen; er hockte an Briannas Seite und wies mit dem Kinn auf die schwelenden Überreste der Blockhütte. Daneben war ein kleiner Garten in die Erde gescharrt worden, doch die wenigen Pflanzen, die dort zu sehen waren, sprossen gerade erst aus dem Boden, und ihre zarten Blätter hingen schlaff und vom Frost geschwärzt herunter. Es gab keine Nebengebäude, keine Spur von Vieh, kein Maultier oder Schwein.
    »Frisch emigriert«, sagte Roger leise. »Keine Leibeigenen; das hier war eine Familie. Sie waren es nicht gewohnt, im Freien zu arbeiten; die Hände der Frauen sind voller Blasen und frischer Narben.« Er rieb sich selbst unbewusst mit der Hand über das leinenbekleidete Knie; seine Handflächen waren inzwischen genauso mit glatten Schwielen überzogen wie Jamies, doch er war einmal ein dünnhäutiger Gelehrter gewesen; er erinnerte sich noch gut an die Schmerzen seiner Einarbeitung.
    »Ich frage mich, ob sie Verwandte hinterlassen – in Europa«, murmelte Brianna. Sie strich dem kleinen Mädchen das blonde Haar aus der Stirn und legte ihm das Taschentuch wieder über das Gesicht. Ich sah, wie sich ihre Kehle bewegte, als sie schluckte. »Sie werden nie erfahren, was aus ihnen geworden ist.«
    »Nein«, sagte Jamie abrupt. »Man sagt zwar, dass Gott die Narren beschützt – aber selbst der Allmächtige verliert wohl dann und wann die Geduld.« Er wandte sich ab und winkte Lindsay und Sinclair.

    »Sucht nach dem Mann«, sagte er zu Lindsay. Alle Köpfe fuhren zu ihm auf.
    »Mann?«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher