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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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nehmen.
    Poldi, ein Stück Speck auf der Gabel hochhaltend, fragte: »Wer ist Jean?«
    Er erfuhr es eine Stunde später. Aber Bettina erzählte ihm nur die halbe Wahrheit. Den Rest mit dem geklauten Geld blieb sie ihm schuldig.
    Die Geschwister hatten beschlossen, gemeinsam in der kleinen Kammer zu schlafen, um Mama nicht zu stören. Im Grunde aber war es umgekehrt: Sie wollten durch Anna nicht gestört werden.
    Poldi hatte sich auf dem Boden auf einer Wolldecke ausgestreckt. »Ich bin’s gewöhnt, weißt du. Der Mensch schleppt viel zu viel Gepäck und Ansprüche mit sich herum. Ich habe alles abgelegt.«
    »Dein Studium wohl auch?«
    »Klar. Ich bin kein Techniker und werde nie einer sein. Und ich habe auch zu keinem anderen Studium Lust.«
    »Aber irgendwas muß der Mensch doch tun, Poldi.«
    »So? Muß er?«
    Ihre Zigaretten bewegten sich als glühende Punkte in der dunklen Kammer. »Natürlich muß er«, beharrte Bettina. »Oder du mußt im Urwald mit den Affen leben.«
    »Ach Quatsch. So kommen wir nicht weiter. Dann hätte ich ja gleich bei Mama schlafen und mir ihre Gardinenpredigt anhören können. Versuch doch bitte mal, von bestimmten Vorurteilen Abstand zu nehmen! Man muß etwas leisten. Was denn, frage ich dich? Ist die innere und äußere Freiheit, die Unabhängigkeit von einer Wohnungsmiete und einem Kühlschrank nicht viel erstrebenswerter als all der stupide Stumpfsinn, das Blöken hinter einem Schalter oder Addieren von Zahlen?«
    Bettina dehnte sich in ihrem Bett. Es war kein Paradiesbett, aber es war immerhin bequemer als auf dem nackten Boden. »Mir wäre solch ein Zigeunerleben auf die Dauer zu unbequem. Du, ich habe gehungert in Rom! Einen einzigen Tag nur, aber... Junge, Junge!« Schließlich war sie ja auch Mutter und hatte gewisse Pläne für Bibi. Sie wollte ihr ein wunderbares Heim schaffen mit einem Garten, wo sie mit Pflanzen und Tieren in Berührung kam, und sie wollte mit ihr reisen, ihr die Welt zeigen, aber bestimmt nicht die Welt von unten gesehen, bibbernd unter irgendeinem Brückenpfeiler nächtigend.
    »Weißt du, Poldi, eigentlich bist du etwas zu alt zum Gammeln«, sagte sie nachdenklich. »Ich finde, mit fünfundzwanzig könnte ein Mann sich ausgegammelt haben. Der Mensch hat sich jetzt ein paar Millionen Jahre redlich geplagt, um sich vom Affen zu unterscheiden. Er hat sein Gehirn entwickelt und eine andere Schädelform angenommen. Schließlich sind mit dieser Wandlung auch andere Funktionen und Aufgaben verbunden, als nur eben zu vegetieren.«
    »Wer spricht denn von vegetieren? Ich werde später vielleicht einmal schreiben oder malen.« Er tastete auf dem Boden nach der Zigarettenpackung und fand sie leer. »Verdammt noch mal, jetzt können wir glücklich Mama um Zigaretten anhauen! Du hättest mir ruhig die letzte übriglassen können.«
    Bettina lachte leise in der Dunkelheit. »Beruhige dich, zünd mal die Kerze an, und dann mach meinen Koffer auf. Da habe ich noch eine Packung Zigaretten, eiserne Ration für den äußersten Notstand. Schmeiß alles ‘raus«, sagte sie, während Poldi die Kerze mit ein paar Wachstropfen neben Bettinas Koffer auf dem Boden festklebte. »Ganz unten ist ein Fach mit einem Deckel, den kann man aufklappen, mit einem kleinen Trick. Du mußt die Notleine ziehen, den roten Lederriemen rechts.«
    »Ja, ich sehe schon, ich bin doch kein Trottel«, brummte Poldi. Sie hörte ihn in ihrem Koffer kramen. »He, hast du eine Bank ausgeraubt?« sagte er plötzlich. »Du schleppst ja das Geld kiloweise mit dir herum.«

    Bettina begriff schlagartig. Sie sprang aus dem Bett, lief zu Poldi hin und starrte im flackernden Schein der Kerze auf die dicken Bündel aus Zehntausendlirescheinen. »Oh, verdammt«, brachte sie nur hervor, und dann erzählte sie ihrem Bruder alles, sogar daß Jean in Wirklichkeit Johann Rindlende hieß und ein Erzgauner war. »Er muß auf irgendeine Weise ins Zimmer dieses Herrn Seggelin gekommen sein, während ich unten im Hotel meine Rechnung bezahlte. Und dann hat er mir wohl das Geld in den Koffer geschmuggelt, weil es ihm dort am sichersten vorkam. Später hätte er es natürlich ebenso unbemerkt wieder herausgezaubert. Er hat nicht damit gerechnet, daß er so schnell hochgeht.«
    Poldi starrte trübsinnig auf das viele Geld. »Und wo sind nun deine Zigaretten?« meinte er schließlich.
    »Die wird Jean sich eingesteckt haben.«
    »Was ist, machen wir halbe-halbe?« Poldi nahm die Geldscheine in seine Hand und wog sie. Er warf

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