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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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Geruch zahlloser nächtlicher Zigaretten entgegen. Die Kippen lagen auf dem roten Ziegelboden vor dem Platz, wo Poldi sich wie ein Tier auf seiner Decke zusammengerollt hatte. Auch zwei Gläser standen dort auf dem Boden mit Resten von Wein, in dem zahllose winzige Eintagsfliegen herumschwammen. Meine Kinder, dachte Anna gerührt, und dann ironisch: Mein großartiges Werk, hier liegt es vor mir ausgebreitet. Sie fing an, mechanisch Zigarettenstummel vom Boden aufzuheben. Poldi knurrte im Schlaf. Dieses Knäuel von Mann, völlig in Unordnung innerlich und äußerlich, ein verbissener und törichter Rebell gegen alle Spielregeln der Vernunft, was tue ich bloß mit ihm? Und Bettina. Warum lungern sie überhaupt hier herum? Nur weil sie hungrig sind? Weil sie ein Dach überm Kopf und ein paar Kröten brauchen? Oder vielleicht doch... Nein, das hehre Wort Kindesliebe wollte sie lieber aus dem Spiel lassen. Aber es ist doch zum mindesten beruhigend für die beiden zu wissen, daß es mich irgendwo noch gibt, daß man notfalls auf mich zurückgreifen kann, bei mir unterkriechen, sich aufwärmen und eine Nase voll Stallgeruch für neue großartige Abenteuer mitnehmen kann.
    Am Fenster tauchte Nancys Gesicht auf. Sie besah sich Bettina und Poldi, eine junge, wißbegierige Amerikanerin, die auf eine Sehenswürdigkeit gestoßen war. »Ich komme gleich«, bedeutete ihr Anna und kam sich töricht vor, wie sie so neben diesem riesigen, unbekümmert schlafenden Lümmel mit ihrer Handvoll Kippen kniete. Sie nahm die beiden Weingläser auf, trug sie ins andere Zimmer und kippte sie in den Ausguß. Dann ging sie hinaus zu Nancy.
    »Sie haben Besuch bekommen?« fragte Nancy.
    »Meine Tochter Bettina und mein Sohn Poldi.« Es klang fast wie ein Schuldbekenntnis. »Sie sind gestern nacht überraschend gekommen, alle beide. Sie haben sich zufällig auf dem letzten Schiff getroffen.«
    Nancy öffnete die Autotür für Anna. »Ist Ihr Sohn Schauspieler?«
    »Nein, warum?«
    »Ich dachte, er braucht diese Aufmachung vielleicht für irgendeine Rolle. Er würde gut nach Greenwich Village passen. Kennen Sie Greenwich Village?«
    »Ja, das Künstlerviertel von New York. Amerikanische Boheme.«
    »Dort lassen sich alle Männer, die sich einbilden Künstler zu sein, einen Bart wachsen.«
    »Poldi bildet sich nicht ein, Künstler zu sein«, erwiderte Anna, Gereiztheit in der Stimme.
    »Was tut er?« erkundigte sich Nancy mit unverhüllter Neugier.
    Anna verlor etwas den Boden unter den Füßen. »Er hat vor einem Jahr das Studium gewechselt.«
    »Was hat er studiert?«
    »Technik.«
    »Und jetzt?« bohrte Nancy unbarmherzig.
    Frank hatte ihr erzählt, daß seine Tochter nüchtern, ehrgeizig und wissensdurstig sei. Sie war eine besessene junge Journalistin. »Was studiert er jetzt?« fragte Nancy zum zweitenmal.
    »Ich weiß nicht, ob er noch mal irgendein Studium aufnimmt. Er hat andere Ideen.«
    »Kann er davon leben?«
    Das Muttertier war in die Enge getrieben und setzte sich fauchend zur Wehr. »Ich weiß nicht, was du unter >leben< verstehst, Nancy. Wenn du ein zehn Meter langes Auto, jedes Jahr einen neuen Kühlschrank und neuen Fernsehapparat und ein Haus mit einem Swimming-pool meinst, dann vielleicht nicht.«
    »Für mich besteht das Leben zwar im wesentlichen aus anderen Dingen, dennoch ist ein Swimming-pool etwas sehr Angenehmes, wenn eine Affenhitze herrscht«, erklärte Nancy trocken. »Wenn man schon alle Nachteile unserer Zivilisation in Kauf nehmen muß — den Lärm in der Luft und auf der Erde und überall den Benzingestank —, soll man wenigstens auch von den Vorteilen was haben.«
    »Ich fürchte, mein Sohn würde sich in solch eine Schablone nicht pressen lassen.«
    Eine kritische Falte zeigte sich auf Nancys Stirn. Ärgerte sie sich über den roten Sportwagen, der sie beim Überholen geschnitten hatte, oder über Annas Antwort?
    »Was das Leben angenehm macht, ist nicht unbedingt Schablone.«
    Anna hatte keine Lust mehr zu widersprechen. Auch Nancy schwieg eine Weile. Aber kurz bevor sie am Kai von Portoferraio anhielt, sagte sie: »Er hat also keinen Job, wenn ich Sie recht verstehe. Geben Sie ihm Geld?«
    Nun wurde es Anna zuviel. »Ich finde, das ist meine sehr persönliche Angelegenheit, Nancy.«
    Nancy nahm diese Abfuhr sehr gelassen hin. Sie schien es gewöhnt zu sein, mit manchen ihrer Fragen auf Widerstand zu stoßen.
    Auf dem Wochenmarkt schoben und drängten sich die Menschen, Frauen, die mit ihren schwarzen

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