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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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kreischte Susan vergnügt. Sie hatte vor dem Essen schon ihr drittes Glas Wein getrunken und blickte unternehmungslustig in die Runde.
    Nancy zuckte die Schultern. Sie schaute aufs Meer hinaus und spielte mit ihrem goldenen Armreif. Anna sah immer wieder auf ihr klar gezeichnetes, stolzes Profil. In dem Schilfdach der offenen Terrasse fing sich knisternd der Abendwind. Die Tischdecke und die riesigen weißen Servietten fühlten sich von der salzgetränkten Luft feucht an. Das Meer schwappte träge gegen die Boote.
    Frank stand neben der alten Frau mit dem roten Gesicht und dem zerrauften, schieferfarbenen Haar am offenen Kaminfeuer und sprach mit ihr über die Kunst des Röstens. Die Fische, die Langusten und die Lendenstücke lagen auf dem Rost über der beißenden Glut, und die Alte bestrich sie mit einem Wedel Rosmarin, den sie in einen mit Öl gefüllten Blechteller tauchte. Sie sprach kein Wort Englisch und Frank kein Wort Italienisch, aber die beiden unterhielten sich ausgezeichnet. Frank hob eine Languste am Schwanz hoch und verbrannte sich die Finger dabei. Er ließ sie auf den sandigen Boden fallen, und die alte Frau hielt sich den Bauch vor Lachen. Sie zeigte zwischen ihren runzeligen Lippen mehr Lücken als Zähne. Dann bückte sie sich und hob die Languste auf, ohne sich zu verbrennen. Die Haut an ihren Händen war wie Leder.
    Nancy blickte immer noch abwesend aufs Meer. Woran denken junge Menschen eigentlich? Wie oft hatte Anna sich diese Frage bei ihren Kindern gestellt und dann zugeben müssen, daß sie nichts, aber auch gar nichts von ihnen wußte. Dachten sie an die Liebe? Was für ein vager Begriff! Oder an die Beatles? Oder an die Mondraketen oder an schnelle Autos? An Kleider? An Tanz? An Luxusjachten? Vielleicht tat man ihnen Unrecht, vielleicht hatten sie ihre Probleme, die um kein Haar seichter und nichtiger waren als die der Erwachsenen. Sie schirmen sich ab gegen uns. Nur der Sektor >Erste Hilfe< ist uns geblieben, wir dürfen Notverbände anlegen, wenn sie sich verletzt haben, und an den Löscharbeiten teilnehmen, wenn ihr Haus brennt. Unsere Tür, unser Herz und unsere Brieftasche müssen ihnen jederzeit offenstehen, aber in ihrem Innern herumstöbern dürfen wir nicht. Aber waren wir etwa anders?

    Der Mond hatte sich verkrochen, und irgendwo ganz nah schrien sich zwei Katzen ihre leidenschaftliche Liebe zu. Es klang wie Kindermord. Anna fuhr mit ihrem Wagen nicht ganz bis zu ihrem Prachtbau, sondern hielt an der einzelnen großen Pinie, die ihr als Garage diente. Sie war nicht ganz sicher, ob sie Frank und seine Familie ehrlich genoß. Aber die Langusten hatten herrlich geschmeckt, und sie hatte sich fast ausschließlich mit Nancy beschäftigt. Nancy war ein gescheites und apartes Mädchen. Sie wußte genau, was sie wollte. Anna hatte sich keine Vergleiche mit Bettina gestattet, denn sie erinnerte sich daran, daß diese einmal das große Wort ausgesprochen hatte: »Alle Mütter schielen immer zu anderer Mütter Kindern und finden sie besser. Man sollte ein Wort dafür erfinden, ähnlich wie Futterneid: Kinderneid.«
    Da glaubte sie ein Geräusch zu hören. Sie war weitab von jeder menschlichen Behausung und bekam es plötzlich mit der Angst zu tun.
    Aus dem Dunkel der weinüberwachsenen Pergola löste sich ein Schatten, und dann kam eine Stimme.
    »Buona sera«, sagte diese Stimme. »Erschrick nicht, ich bin’s.«
    Annas Herz schlug höher. »Poldi!« Sie stürzte vorwärts, verknaxte sich den Fuß und fiel in die Arme ihres Sohnes.
    Er fühlte sich rauh an, bärtig, genauso, wie sie es befürchtet hatte. Auf alle Fälle mußte sein Hemd in den Waschzuber, und eine Kopfwäsche war ebenfalls fällig. In diesem Augenblick war er für sie wieder der kleine, verwilderte Lausebengel, der nach einem tagesfüllenden Indianerspiel heimgekehrt war.
    »Du bist schon da? Ich habe dich erst später erwartet!«
    Anna schmiegte sich selig an ihn. Sie nahm ihn bei den Schultern und schüttelte ihn stürmisch, dieses große Sorgenkind — nein: Sorgenlümmel. »Komm ‘rein und laß dich anschauen. Es gibt zwar kein elektrisches Licht, aber ich habe Kerzen. Und eine Petroleumfunzel.«
    »Ja, weißt du, Mama, ich bin nicht allein.« Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. »Ich habe ein Mädchen bei mir.«
    Es traf Anna wie ein Blitz. Söhne, die vor kurzem noch in Strampelhosen lagen, vergnügt krähten und auf die Flasche warteten, werden selbständige Wesen, Männer mit eigenen Gesetzen, die

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