Ein Herz bricht selten allein
keine Rücksicht auf sentimentale und eifersüchtige Mütter nehmen. »Ich habe ein winziges Kämmerchen mit einem schmalen Bett, und dann mein Zimmer mit einem Doppelbett«, sagte Anna.
»Gut, also einer schläft mit ihr im Doppelbett, du oder ich. Sie hat keine ansteckende Krankheiten, soviel ich weiß.« Ein zweiter Schatten löste sich aus dem Dunkel. Gott, gib mir Kraft, betete Anna, laß mich gastfreundlich und großzügig erscheinen.
Der Schatten bewegte sich auf Anna zu, und er roch zum Glück nach guter Seife. Anna atmete erleichtert auf.
»Ich habe sie auf dem Schiff aufgegabelt, ganz zufällig«, erläuterte Poldi. »Sie möchte bei dir gern ein Zuhause finden.«
Anna versteifte sich. Sie wußte nicht, ob und wohin sie die Hand in der Dunkelheit ausstrecken sollte. »Guten Abend«, sagte sie vage in die Richtung des Schattens und bemühte sich um einen freundlichen Ton. Sie fühlte eine Hand in der ihren, einen kraftvollen Griff, den sie gern hatte.
»Na, wie steht’s mit der Stimme des Blutes? Die funktioniert nicht ganz, was?« sagte das unsichtbare Wesen.
»Bettina!«
Anna war außer sich vor Glück. Sie schleppte ihre beiden großen Kinder wie eine kostbare Beute ins Haus und verschloß die Tür hinter ihnen, damit sie ihr nicht mehr entkamen. Sie fand mit der Taschenlampe die Streichhölzer und zündete die Kerzen an.
»Zwei Fliegen mit einem Schlag, Überraschung, was?« sagte Poldi. Er ließ sich auf Annas Bett fallen und streckte die Beine weit von sich. Die khakifarbenen Hosen starrten vor Dreck.
Sie kommen morgen zusammen mit dem Hemd in den Waschzuber, überlegte Anna. Es soll Söhne geben, die ihrer Mutter anstatt Sorgen und schmutziger Wäsche einen seidenen Schal und Erfolgsbotschaften mitbringen. Ihre Erziehungsbemühungen waren danebengegangen. Sie mußte allerhand falsch gemacht haben.
Bettina hatte es sich auf Annas Bett ebenfalls bequem gemacht. Sie sah übermüdet aus, unglücklich, sehr verloren.
»Wie wäre es, wenn ich euch Spiegeleier auf Speck und Paprikaschoten machte? Ich habe auch Salami im Haus, Schafskäse und schwarze Oliven.«
»Prima Idee«, meinte Poldi.
Die Gesichter verschwammen hinter Zigarettenrauch. Poldi blies Kringel und sah ihnen nach. Sein Gesicht war glücklich wie das eines kleinen Jungen, der seinem Luftballon nachblickt. Anna schlug die Eier in die Pfanne. Sie fühlte sich von den Kindern beobachtet. Bettina und Poldi waren Verschworene. Ich muß sie mir einzeln vornehmen, zuerst Bettina und später Poldi, überlegte sie. Ich lasse sie sich ausquatschen und werde sie gut füttern, dann werde ich allmählich wieder auf dem laufenden sein.
»Du kannst uns doch brauchen, Mama? Sonst können wir nämlich auch wieder gehen«, warf Poldi lässig hin.
»Natürlich kann ich euch brauchen. Jederzeit. Das wißt ihr doch.«
»Deine Freude war nämlich sehr gemäßigt«, erklärte Bettina.
»Ich freue mich in Raten. Mutterfreuden wollen gut eingeteilt sein«, meinte Anna weise.
»Du treibst dich ganz schön herum. Wo kommst du denn so spät her?«
»Frank ist da. Wir haben in Fetovaia Langusten gegessen.«
»Frank? Dein Franzi?« Poldi wurde lebhaft. Er wußte, daß Frank einmal Annas große Liebe gewesen war. »Das ist ja romantisch! Ein heimliches Stelldichein auf Elba. Fast wie bei Napoleon mit der Walewska.«
»Nicht ganz so. Frank ist mit seiner Frau und einer seiner beiden Töchter hier.«
»Na, da habt ihr ja gar nichts voneinander.« Er rappelte sich hoch und guckte nach, ob die Eier bald fertig wären. »M-m, das riecht fein. Und so viele«, sagte er bewegt und umarmte Anna. »Du bist wirklich prächtig. Ich bin froh, mal wieder bei Muttern zu sein. Ich hatte schon Angst, es gäbe Stunk, wenn du mich mit dem Bart siehst und den langen Haaren. Es gibt nämlich Mütter, die sich wegen solcher Lappalien wahnsinnig auf regen.«
Anna wagte nicht, ihn anzusehen, um sich nicht zu verraten. Er hatte sie auf den Thron der weit über dem Durchschnitt stehenden Mütter gesetzt. Sollte sie sich selbst entthronen, indem sie ihm sagte, daß sie seinen Aufzug indiskutabel, unappetitlich und ziemlich blöd fand?
Poldi balancierte mit der Pfanne zum Tisch. »Komm schnell, Bettina, sonst ist nichts mehr da.«
Bettina schnellte hoch. Als erstes nahm sie einen Schluck Wein. »Du erkundigst dich gar nicht, wo Jean geblieben ist«, sagte sie, als sie das Glas absetzte. Sie wollte den unvermeidlichen mütterlichen Fragen möglichst allen Wind aus den Segeln
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