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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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1

Wüstenträume

    In Somalia sind Teufel weiß. Wir nennen sie
djinn
, und sie lauern überall. Einfach überall! Sie kriechen in Menschen und Tiere, verursachen Krankheiten, spielen ihnen Streiche und machen sie verrückt. Wenn du etwas irgendwo hinstellst und es ist auf einmal nicht mehr da, dann weißt du, ein
djinn
steckt dahinter. Meine Mutter hat ihnen immer zugerufen: »He! Teufel! Geh von meinen Sachen weg! Sie gehören dir nicht, du bist hier nicht erwünscht!« Dann hat sie mir gezeigt, dass man sich abwenden muss und am besten etwas anderes tut; wenn der
djinn
weg ist, findet man das Verlorene bald schon wieder. Meine Mutter wusste alles über
djinns
und wie man sie loswird. Sie kannte viele Zaubersprüche und Rezepte, mit welchen Blättern oder Rinden man den
djinn
vertreiben konnte, wenn man krank war. Sie sammelte Pflanzen, kochte Wurzeln oder gab sie uns roh zu essen. Besondere Blätter und Pilze verwahrte sie in Lederbeuteln. Im Rauch und in den Sternen konnte sie lesen und wusste stets den richtigen Zeitpunkt. Wegen ihrer magischen Kräfte wurde sie hoch geachtet, und die Leute brachten kranke Tiere zu ihr – ich erinnere mich gut daran aus der Zeit, als ich ein kleines Mädchen war.
    Ich wurde in der somalischen Wüste geboren, und ich weiß nicht, wie viele Kinder meine Mutter auf die Welt gebracht hat. Denn viele Babys starben gleich nach der Geburt. Wie die meisten Somalis besaßen wir Kamele und Ziegen und lebten von deren Milch. Traditionsgemäß hüteten meine Brüder eher die Kamele, und wir Mädchen kümmerten uns um die kleineren Tiere.
    Eines Tages, als ich seit ungefähr acht
gu
, also Regenzeiten, auf der Welt war, hütete ich, nicht weit vom Lager meiner Familie entfernt, unsere Ziegen. An diesem Morgen war ich über die steilen, sandigen Ufer des
tuug
, des trockenen Flussbetts, zu einem Platz geklettert, den ich am Tag zuvor entdeckt hatte. Dort gab es frisches Gras und ein paar Akazienbäume. Die größeren Ziegen richteten sich auf den Hinterbeinen auf und zogen die Äste herunter, sodass sie an den unteren Blättern knabbern konnten. In der Regenzeit weiden die Ziegen rings um das Lager, ohne dass man viel Scherereien mit ihnen hat; aber während der Dürreperiode muss man Grasflecken finden und auf sie aufpassen, weil dann auch die anderen Tiere hungrig sind. An diesem heißen Nachmittag saß ich im Schatten, sang und spielte mit den Puppen, die ich mir aus Stöckchen gebastelt hatte. Seit eh und je wusste ich, was ich werden wollte. Schon als kleines Kind hatte ich feste Vorstellungen. Auch mein künftiger Mann stand mir klar vor Augen. Ich spielte, dass ich ein Haus besaß. Kleine Steine waren meine Ziegen und größere waren Kamele und Rinder. Mein Haus war groß und rund. Mit nassem Sand ging es am besten, weil ich es dann genauso formen konnte wie unsere Hütte – nur dass meines besser war, weil ich es selbst gestalten konnte. Meine Mutter baute unser Haus aus Matten, die sie aus langen Gräsern flocht, sodass es schnell abgebaut und auf die Kamele verladen werden konnte, wenn wir weiterzogen. Mein Spielhaus war so sicher und schön wie ihres, mit einem Ehemann und Kindern. Wir lebten weit weg von meiner Familie.
    Unter der Mittagssonne schien alles zu erstarren. Ich konnte in beide Richtungen des sandigen
tuug
schauen. Am Abend zuvor hatte ich auf dem Weg zurück ins Lager die bösen gelben Augen eines Hyänenrudels gesehen, die mich und die Ziegen beobachteten. Obwohl mein Vater gesagt hatte, sie kämen nicht näher, solange ich da wäre, hatte ich Angst. Sie sind gerissen, und wenn man sie nicht scharf im Auge behält, dann schnappen sie sich eine der Ziegen, während man auf die anderen achtet. Man muss sich groß und furchtlos geben, denn wenn sie Angst spüren, lassen sie einen nicht in Ruhe.
    Whitey, die Lieblingsziege meiner Mutter, schaute hoch und witterte, deshalb sah auch ich mich um. Ein Mann kam am Rand des
tuug
entlang und zog an einem geflochtenen Strick ein Kamel hinter sich her. Für gewöhnlich folgen Kamele einem Leittier, das eine hölzerne Glocke trägt. Sie bimmelt hohl, und die anderen gehen einfach einzeln hinterher, in einer Reihe wie Elefanten – wobei sie sich am Schwanz des Vorgängers festhalten. Dieses ulkige Kamel zuckte und drehte sich auf eine merkwürdige Art zu einer Seite. Es wehrte sich nicht, sondern zitterte und hatte Schaum vor dem Maul. Ab und zu blieb es stehen. Das Tier war zweifellos von einem
djinn
besessen, ein Teufel

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