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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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auf den noch lauteren Bahnhofsplatz hinaus. Und jetzt? Der Raubvogelbursche war ihr nachgestiegen, und Bettina flüchtete in ein Taxi. Sie sagte: »Fahren Sie zehn Minuten geradeaus, ganz egal, wohin.« Es gab nichts Beruhigenderes, als in einem Taxi zu sitzen, sich ziellos durch eine fremde Stadt fahren zu lassen und dem Fahrer den ganzen Ärger mit dem nervösen Verkehr aufzubürden.
    Pünktlich nach zehn Minuten hielt das Taxi, und der Fahrer fragte über die Schulter: »Wohin nun, Signora?«
    Bettina wußte es nicht. Zwischen häßlichen, verkommenen Häusern eingekeilt lag ein kleiner, mit Platanen bestandener Platz in der Abendsonne. Die Platanen, von trockener Hitze und Staub zermürbt, sahen grau und hoffnungslos aus. Unter ihnen spielten Kinder. Eines davon, ein kleines Mädchen mit einem runden Gesicht und dunklen Augen mit dem Glanz von reifen Brombeeren, glich Bernhardine. Bettina krampfte sich das Herz zusammen. Was suchte sie hier eigentlich?
    Sie wollte zu ihrer kleinen Tochter fahren. Aber wie dorthin kommen? Ihre Barschaft war erschreckend zusammengeschmolzen.
    Der Fahrer wartete immer noch auf ihre Antwort. Er war es gewohnt, mit Ausländern vor Sehenswürdigkeiten zu halten und zu warten, bis die Fahrgäste in ihren Reiseführern nachgelesen und ihre Fotos gemacht hatten. Was wollte die Signora hier? Er räusperte sich, und Bettina, wie auf einer heimlichen Missetat ertappt, nannte ihm die Adresse von Herrn Seggelin. »Ist es weit von hier?« Er malte mit der Hand eine undeutliche Antwort in die Abendsonne.
    Fuhr der Taxifahrer dreimal rund um Mailand? Die Fahrt wollte kein Ende nehmen, und der Fahrpreis kletterte immer höher. Endlich hielt das Taxi vor einem modernen Mietshaus mit einer aufwendigen, marmorverkleideten Fassade. Bettina machte die unangenehme Entdeckung, daß sie nicht in der Lage war, den Fahrpreis zu bezahlen. In manchen Momenten war die Ehrlichkeit, zu der sie von Lehrern, Pfarrern, ihrer Mutter und Vater Staat erzogen worden war, wirklich unangebracht. Warum hatte sie vor ihrer Abfahrt aus Elba ihrer Mutter nicht einfach ein paar von den taschentuchgroßen Zehntausendlirescheinen geklaut anstatt der schäbigen fünftausend?
    »Ich habe nicht genügend Geld bei mir. Warten Sie bitte einen Augenblick«, erklärte sie dem Fahrer.
    Der musterte Bettina vom Scheitel bis zu den Fußsohlen und schien die Chance, sein Geld zu bekommen, gut zu finden, denn er nickte.
    Bettina schwebte in einem silbergrauen Aufzug geräuschlos in dem marmornen Palast nach oben. Seggelin wohnte im Dachgeschoß. Die Tür wurde ihr von einer Frau geöffnet, einer hübschen, gut gepolsterten Vierzigerin. Es war dieselbe, mit der Bettina telefoniert hatte. Sie erkannte sie an der Stimme wieder.
    »Es tut mir leid, ich kann den Signore in diesem Augenblick nicht stören«, verkündete sie, als Bettina ihren Wunsch vorgetragen hatte, Herrn Ludwig Seggelin zu sprechen.
    »Es ist dringend.«
    »Wollen Sie vielleicht mit seinem Vater sprechen?«
    Bettina wehrte erschrocken ab. »Ich möchte gern auf Herrn Ludwig Seggelin warten. Wann können Sie ihn stören?«
    »In etwa einer Viertelstunde. Bitte, treten Sie ein. Ich nehme an, Sie sind die Signora aus Genf.« Bettina widersprach nicht. Sie hatte Angst, sie könnte wieder weggeschickt werden.
    Der Raum, in den sie geführt wurde, hatte nach Westen und Süden Wände aus Glas, die den Blick auf eine mit rosa blühendem Oleander bepflanzte Terrasse freigaben. Eine Marmortreppe führte zu einer Bibliothek. Trotz seiner kostbaren antiken Möbel strahlte der Raum Behaglichkeit aus. Bettina nahm in einem mit Perlmutt und Elfenbein eingelegten venezianischen Renaissancestuhl Platz. Es war beschämend, in einem solchen Stuhl zu sitzen und darauf zu warten, daß man den Hausherrn um ein paar tausend Lire anhauen konnte. Der Taxifahrer unten rauchte gewiß jetzt schon seine zweite Zigarette und korrigierte seine Meinung über die Vertrauenswürdigkeit deutscher Damen. Auch die Frau mit der klangvollen Stimme schien nicht die beste Meinung von Bettina zu haben, denn sie blieb hartnäckig an der reich eingelegten, sicher aus einem alten Palazzo stammenden Tür stehen.
    Bettina dachte daran, daß sie ihr Make-up hätte etwas erneuern können. Schließlich pumpte man sich mit tadellos geschminkten Lippen und einem neu aufgelegten Hauch von Augenschatten besser Geld von einem Mann als mit einem von Hitze, Staub und Müdigkeit gezeichneten Gesicht. Sie öffnete die Tasche, um den

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