Ein Herz bricht selten allein
wunderbar miteinander aus, wenn ich ein Vermögen von etlichen Millionen im Hintergrund hätte. Ich müßte mir dann nicht soviel Sorgen um deine Zukunft machen.«
»Machen — das ist das richtige Wort. Du konstruierst dir diese Sorgen.«
»Du versäumst deine besten Jahre, Poldi.«
»Daß ich sie >versäume<, ist auch nur eine Behauptung. Ich bin der Meinung, daß ich meine besten Jahre bewußt genieße, also nütze. Aber ich weiß schon, du hättest gern einen duckmäuserischen, stinknormalen Sohn, nicht wahr?«
»Was ich gern hätte, ist ganz egal. Es handelt sich darum, was ich habe.«
»Tröste dich mit deinen Töchtern. Wie lange bleibt Bettina eigentlich bei dir?«
Anna hob die Schultern.
»Sie kann doch nicht einfach hierbleiben und dir auf der Pelle sitzen! Schließlich ist eine Mutter nicht nur eine Melkkuh für ihre Kinder. Du hast doch ein Anrecht auf ein eigenes Leben.«
Wie weise er redete. Und mit welcher Kühnheit er sich als der vernünftige, ratgebende Sohn aufspielte. Anna mußte lächeln, aber sie lächelte nach innen, um Poldi nicht vor den Kopf zu stoßen. »Ich weiß nicht, ob Bettinas Ehe noch zu flicken ist.«
»Warum nicht? Über ihre und seine Eskapaden wird Gras wachsen. Und schließlich haben sie ein Kind miteinander. Ich werde heute mal ein ernstes Wort mit ihr reden. Weißt du, das kann ich besser als du. Du bist halt doch etwas hinter dem Leben zurück. Hinter dem Leben, das wir Jungen führen. Das mußt du verstehen.«
»Natürlich.« Wahrscheinlich mußten die Kinder sich Zwang antun, um nicht direkt das Wort >verkalkt< auszusprechen.
»Die Vorstellung, daß eure Elternschaft euch Rechte über uns gibt, ist bedrückend für uns. Es erweckt unseren Widerstand. Das ist doch ganz natürlich.«
»Vielleicht.«
Poldi fuhr wie ein Verrückter und sprach mit erhobener Stimme. Ihn jetzt nur nicht reizen, sonst knallt er gegen einen Baum!
»Schließlich habt ihr uns ja nur gezeugt und geboren. Und hochgepäppelt. Ihr habt Zeit und Geld in ein Unternehmen investiert, von dem ihr wissen mußtet, daß es keine Zinsen trägt.«
»Und Gefühle«, bemerkte Anna bescheiden.
»Gefühle? Wieso? Was für Gefühle?«
»Ich meine, wir haben auch Gefühle investiert.«
»Gefühle sind doch nur Ausreden für eine höchst unklare Selbstgefälligkeit. Ein bequemes Abweichen vom Verstand.«
Schweigen ist Gold, sagte Anna sich. Ihre Blicke schweiften über die sanften, binsenbewachsenen Täler und die Weingärten, die die Berge bis zu dem bewaldeten Gestein emporkletterten. Im goldenen Geflimmer standen die alten Bauernhöfe und zeigten zwischen mächtigen Eukalyptusbäumen ihr morsches, von Wind und Salzwasser abgewaschenes Rot. Dies wird meine Heimat, dachte Anna.
Poldi ging dazu über, sich mit Annas Fähigkeiten, ihr Leben richtig zu gestalten, auseinanderzusetzen. »Wie kannst du schreiben, Mama, wenn du nichts von der Welt siehst? Warum machst du keine Reisen?«
»Weil ich es mir nicht leisten kann, zeitlich und finanziell.«
»Du bist zu solide, du bist kein Lebenskünstler.«
»Dafür habe ich einen Sohn, der einer ist«, sagte Anna.
»Warum wirst du denn immer gleich persönlich, Mama?«
Poldi ließ nicht locker, er wollte sich unbedingt an ihr reiben. Anna war mit ihrer Geduld am Ende. »Bitte fahr mal rechts ‘ran«, sagte sie.
Er hielt an einer Böschung.
Anna machte jetzt ihre schmalen Katzenaugen, die er so gut kannte.
»Ich will mich absetzen von dir. Wir sehen uns heute abend.«
Sie lief einen schmalen Pfad entlang, der irgendwohin führte, zu einem Bohnenfeld oder einem Schafstall, aber jedenfalls weg von ihrem Sohn Poldi. Er rannte ihr nach und gestikulierte und machte ihr klar, daß sie sich wie ein Teenager benahm. Aber Anna gab ihm keine Antwort. Schließlich blieb er stehen und blickte ihr zornig nach. War es nicht lächerlich, daß sie wie zwei zerkrachte Liebesleute auseinanderrannten, jeder bestürzt über die Verständnislosigkeit des anderen? Warum konnte man nie ein vernünftiges Wort mit Mama reden? Waren andere Mütter ebenso?
»Mach mir bitte keine Vorwürfe, wenn dich der Hitzschlag trifft«, rief er ihr ärgerlich nach. Dann kehrte er zu Franks Wagen zurück.
Anna brauchte zwei Stunden, um mit ihrem Zorn und ihrem Kummer fertig zu werden. Sie lief über felsige Eselssteige, stolperte über Wurzeln von Olivenbäumen, verfing sich im Brombeergestrüpp und fand schließlich einen sandigen Weg, der zu einer bewaldeten Höhe führte. Hier setzte sie
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