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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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sich unter eine Korkeiche und grübelte darüber nach, warum sie mit anderen jungen Menschen so viel besser auskam als mit ihren eigenen Kindern. Die Vorstellung, daß Poldi jetzt quietschvergnügt mit Frank und seiner Familie auf einer weinumrankten Terrasse zu Mittag aß und sich riesige Portionen Spaghetti auftischte, während sie hier von Dornen und Mücken zerstochen und mit knurrendem Magen saß, verbesserte ihre Stimmung nicht. Wartet nur, ihr klugen Kinder, ihr bekommt es noch einmal genauso dick heimgezahlt von eurer eigenen Brut. Diese Gewißheit hatte etwas Tröstendes.
    Mittag war längst vorbei, als sie endlich dorthin kam, wo sie ihr Auto hatte stehenlassen. Sie war in Kampfstimmung. Von heute an wollte sie ihren Kindern gegenüber einen anderen Ton anschlagen. Mit Bettina würde sie beginnen.
    Aber sie kam nicht dazu. Bettina war nicht da, nur ein Zettel lag auf dem Tisch: »Verzeih die Scherereien. Wenn Poldi jemals wieder auftauchen sollte, verschone mich bitte mit seinem Anblick. Ich will versuchen, alles irgendwie wieder einzurenken. Bettina. PS: Ich habe eine Anleihe von 5000 Liren bei Dir gemacht. Du bekommst das Geld zurück.«
    Bettina hatte wohl den Mittagsomnibus erwischt und war mit dem 12.30-Uhr-Schiff gefahren. Anna ging in die Kammer, in der Bettina und Poldi genächtigt hatten. Sie hob die Matratze und fand das Geld. Sicherheitshalber zählte sie es nach. Es war genau eine Million Lire, ein dicker Packen nahezu neuer Scheine.

    Bettina erreichte Mailand nach dreimaligem Umsteigen. Sie verteidigte ihren Koffer gegen einen Gepäckträger und schleppte ihn selbst zur Aufbewahrung, um die hundert Lire zu sparen. Dann kaufte sie am Zeitschriftenstand eine Fernsprechmünze. Seggelins Adresse und seine Telefonnummer hatte sie sich notiert. Sie steckte sich eine Zigarette an und wählte die Nummer. Eine italienische Frauenstimme meldete sich, und Bettina versuchte, ihr in ihrem schlechten Italienisch klarzumachen, daß sie Herrn Seggelin zu sprechen wünsche. Sie erfuhr, daß zwei Seggelins zu Auswahl standen, ein Ludwig und ein Manfred Seggelin. Sie wußte, daß ihr Seggelin, der sie wegen des Geldes verfolgt hatte, Ludwig hieß.
    »Ich möchte Herrn Ludwig Seggelin sprechen«, sagte sie, aber als er sich meldete, war sie nicht sicher, ob es der richtige war. Für Bettina sprachen alle Schweizer gleich.
    »Ich bin Bettina Haller«, sagte sie vorsichtig. »Erinnern Sie sich?«
    »Ja, gewiß, ich erinnere mich.« Klang das nicht etwas zugeknöpft? Jedenfalls nicht hocherfreut. Die Frauenstimme gehörte wahrscheinlich seiner Frau, seiner Geliebten oder sonst irgendeinem Weib.
    Bettinas Mut sank. Sie sagte: »Ich hätte Sie gern gesprochen.«
    »Ah, ja? Ich fühle mich sehr geehrt.«
    Sie sah ihn deutlich vor sich, mit seiner gesunden Hautfarbe und seinen sehr hellen Augen, die er immer etwas zusammenkniff. Man war nie ganz sicher, ob er einen an- oder auslachte. Warum eigentlich sollte sie die volle Wahrheit sagen und ihren Bruder Herrn Seggelins Gnade ausliefern?
    »Ich bin am Bahnhof. Ich bin auf der Durchreise hier. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Herr Moulin das Geld nicht hat«, sagte sie hastig.
    »Oh, Herrn Rindlendes Freunde werden es für ihn auf bewahren. Er selbst sitzt augenblicklich in Rom in Untersuchungshaft. Aber davon abgesehen freue ich mich, daß Sie noch an mich denken. Ich werde Sie in bester Erinnerung behalten.«
    »Mein Zug geht«, fiel Bettina ins Wort. »Auf Wiedersehen.« Damit hängte sie ein.
    Sie trat vor die Telefonzelle und blies sich eine Strähne ihres roten Haares aus der Stirn. Sie hatte versagt. Jean würde aussagen, daß er das Geld in ihrem Koffer versteckt hatte. Und was dann? Die Polizei würde Fahndungen anstellen, eines Tages würden die Carabinieri bei ihrer Mutter aufkreuzen, die ganze Gegend würde davon erfahren, und man würde der pòvera Signora, deren Kinder Verbrecher waren, fortan mit scheuem Mitleid begegnen. Bettina wußte nicht, ob sie noch länger hier auf dem Bahnhof herumstehen sollte. Sie blickte unschlüssig um sich. Die Männer sahen Bettina abschätzend an, manche pfiffen herausfordernd, wenn sie an ihr vorbeigingen. Ein besonders hartnäckiger Bursche mit einem blassen Raubvogelgesicht und dunklem Kraushaar umkreiste sie, als wolle er sich jeden Augenblick auf sie stürzen und sie in Stücke reißen. Schließlich wurde es Bettina zu dumm, entschlußlos hier herumzustehen. Sie ließ den lauten, unruhigen Bahnhof hinter sich und trat

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