Ein Highlander zu Weihnachten
Sie sah Tavish in Tweed gekleidet vor sich, mit seinen rosigen Wangen und den weichen weißen Haarbüscheln, die unter seiner Mütze hervorsahen. Als die Wahrsagerin im Russian Tea Room ihm erklärt hatte, dass er hundert Jahre alt werden würde, hatte er in sich hineingelacht, aber er war nachdenklich geworden, als die Frau ihm sagte: »Aha, ein Geheimnis … aber Sie haben gut gewählt.« Als die Wahrsagerin sich Claires Teetasse vorgenommen und ihr prophezeit hatte, sie werde einen munteren Sohn haben, war sein breites Grinsen zurückgekehrt – Claire kamen die Tränen. Tavish war erst siebenundsiebzig gewesen.
»Ich glaube, das wäre es fürs Erste«, sagte Mr Brindle leise. »Falls Sie noch weitere Fragen haben, rufen Sie …«
»Wo ist er beigesetzt worden?« Die Gelegenheit, bei seiner Beerdigung anwesend zu sein, war verpasst, aber sie konnte ihm immer noch die letzte Ehre erweisen, sein Grab besuchen und ihm Blumen hinlegen. Rosen. Rote Rosen hatte er gemocht.
»Mr MacLean hatte verfügt, dass sein Leichnam nach Appin in Schottland überführt werden soll. Er wurde in einem Familiengrab neben seinen Eltern beigesetzt.«
»Ich verstehe …« Ihr Blick wanderte zu einem offen stehenden Schrank, auf dessen mittlerem Bord ein wunderschön gearbeitetes Segelschiffmodell unter Glas stand. Tavish war ein begeisterter Modellbauer gewesen und hatte ihr erklärt, dass es eine exakte Nachbildung des Bootes sei, das einmal seinem Vater gehört hatte. Das Modell hatte er ihr letzte Weihnachten geschenkt, und sie hatte es in den Laden gestellt, in der Hoffnung, es möge ihm ein oder zwei Aufträge einbringen.
Sie konnte ein Gesteck schicken. Tavish hatte gesagt, Appin sei klein, nicht mehr als ein Fischerdorf. Vielleicht erinnerte sich jemand im Ort oder in der Kirchengemeinde an ihn und würde sich bereitfinden, die Blumen an ihrer Stelle auf sein Grab zu legen. Vielleicht konnte sie ja einen Lieferdienst …
»Miss MacGregor, sind Sie noch dran?«
Claire schüttelte den Kopf, fühlte Tränen über ihre Wangen laufen und wischte sich das Gesicht. »Ja. Entschuldigen Sie bitte – ich bin immer noch so geschockt.«
»Das verstehe ich völlig. Falls Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich bitte einfach an mich.« Er nannte ihr seine Adresse. »Wenn sonst nichts mehr ist – ich wünsche Ihnen noch einen guten Abend.«
»Danke.«
Sie hätte nicht sagen können, wie lange das Freizeichen danach noch an ihrem Ohr summte, aber ein Rumms, gefolgt von Tracys Geschrei – »Um Himmels willen, passen Sie doch damit auf!« – rissen Claire aus ihrer Benommenheit.
Im Hinterzimmer fand sie Tracy bibbernd in den eiskalten Böen vor, die durch die sperrangelweit geöffnete Rampentür hereinwehten. Neben ihr standen vier schulterhohe Holzkisten. »Wie viele von der Sorte sind es denn noch?«
Zähneklappernd zuckte Tracy die Schultern. »Keine Ahnung. Aber schwer sind sie. Die Männer haben ganz schön geschwitzt und erst recht geflucht.«
Claire befühlte eine der Kisten. Wie lieb von Tavish, sich so viel aus ihr zu machen, dass er ihr seinen irdischen Besitz vererbte. Und zugleich wie schmerzlich, dass sie – eigentlich eine Fremde – die Einzige gewesen war, der er ihn hinterlassen konnte.
Der vierschrötige Mann, den sie vorhin auf der Rampe stehen gelassen hatte, stellte eine weitere Kiste – diesmal eine lange, flache – ab und hielt ihr sein Klemmbrett unter die Nase. »Das wär’s, gute Frau, fünf Kisten. Bitte hier unterschreiben, und dann sind Sie uns los.«
Sie überflog den Lieferschein, unterschrieb ihn und gab ihm alles zurück. Als er ihr ihren Durchschlag abriss, fragte sie: »Wissen Sie, was drin ist?«
»Möbel und Kleidungsstücke in erster Linie.«
Na prima. Sie konnte sich jetzt schon kaum noch bewegen vor lauter Möbeln.
Sie nahm ihren Durchschlag und begleitete ihn an die Tür. »Vielen Dank und frohe Weihnachten.«
Auf dem Weg zu seinem Laster winkte der Mann ihr über die Schulter zu. Viel schien er für Weihnachten nicht übrigzuhaben.
Sie schloss die Tür und verriegelte sie.
»So«, brummte Tracy, »erzählst du mir jetzt, wer gestorben ist und was das alles hier soll, oder nicht?«
»Tavish ist gestorben. Letzten Montag.« Schon dieses bisschen zu sagen, brach ihr schier das Herz und ließ noch mehr Tränen aufsteigen.
»Oh Claire, das tut mir so leid.« Tracy legte die Arme um sie. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass er dir so viel bedeutet.«
»Danke dir.« Ihr Verhältnis zu
Weitere Kostenlose Bücher