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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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kommt, sobald er ein Geschäft betritt; und im nächsten Augenblick, während er in gedämpftem Ton mit dem Kaufmann redet, der anbietet, empfiehlt, indes er höflich auswählt, dämmert ihm die Vision, daß sich hier zwei wilde Bestien mit fürchterlichen Tatzen gegenseitig an die Kehlen gehen in diesem elektrisch illuminierten Urwald, dieser Wüste aus Beton, sich im Ringen um den fetten Happen zerfleischen, auf Leben und Tod. Er weiß, er wird in diesem Kampf auf jeden Fall der Unterlegene sein, denn der Geschäftsmann wirft sein ganzes Wesen, seine Existenz in den Kampf, er dagegen nur sein Geld, von dem er ohnehin immer nur so wenig hat, daß es eine ernsthafte Verteidigung gar nicht lohnt.
    Wie jedes Jahr hat er den Weihnachtseinkauf bis zum letzten Tag, bis zur letzten Stunde aufgeschoben, denkt er zerknirscht. Alljährlich wieder erlebt er die Qual der Geschenkauswahl gleich abgehetzt, schlecht gelaunt und nervös, und jedes Jahr nimmt er sich fest vor, nächstes Jahr schon Wochen vor dem Weihnachtsfest einen Nachmittag lang seine ganze Aufmerksamkeit auf die Auswahl der Geschenke zu richten – und steht doch wieder im letzten Augenblick vor den Auslagen, fühlt sich bedrängt und angeekelt, da ihm der Mut und die Lust zu dieser Prozedur fehlen. Schenken ist etwas Wunderbares, doch wenig und einfallslos zu schenken ist lieblos und beschämend.
    Er weiß, daß sich der nur mit größtem Energieaufwand beschaffte Hundert-Pengö-Schein in seinen Händen spurlos auflösen wird, sobald er das Geschäft betritt, und daß als Erinnerung an ihn allenfalls ein kleines, überflüssiges Päckchen bleibt, dessen Inhalt nach den Festtagen unwiderruflich umgetauscht werden muß. Dabei gibt es Menschen, in deren Fingern das Geld eine geradezu magnetische Kraft gewinnt, sie können noch mit Molekülen kleinster Summen beachtliche Objekte, Gegenwerte von Gewicht an sich ziehen; Menschen, die mit einem Hundert-Pengö-Schein das prachtvollste Weihnachtsfest für einen Vier-Personen-Haushalt auszurichten in der Lage sind: Aus einem unsichtbaren Zylinder zaubern sie Geschenke hervor – praktische, lustige, unnütze –, arrangieren für Freunde ein opulentes Mahl und behalten am Ende auch noch sechsundzwanzig Pengö übrig, die sie aufs Sparbuch einzahlen. Der Herr ist kein solcherart begnadeter Mensch. Er spürt vielmehr, daß dieser Hunderter in Sekundenschnelle fort sein wird und statt dessen nur ein kleines Ridikül bleibt, welches später gegen eine Armbanduhr oder einen Parfumflakon umgetauscht werden muß, den man seinerseits für einen Damenhut umtauscht. Das Ganze ist ermüdend, eintönig, ja bedrückend.
    Und doch spielt sich all das seit zehn Jahren in schöner Regelmäßigkeit vor den kleinen und großen Festen, vor allgemeinen und familiären Feiertagen in dieser Form ab; aus ebendiesem Grund macht er sich, die Hände in der Tasche und in stillem Einverständnis angesichts der spiegelnden, gleißenden Auslagenflut, jetzt auf, um sich gleich der ersten größeren Versuchung, die vom Fenster eines raffinierten Kundenfängers ausgeht, vorbehaltlos zu stellen.
    Er flaniert über die schmale Einkaufsmeile in der inneren Stadt, eine enge Straße von ethnographischer Relevanz, da sie scharf und sicher Orient und Okzident voneinander scheidet. Hier ist die Grenze – empfindet er jedesmal, wenn er das elegante und ansehnliche Revier durchmißt. Er bewegt sich vorsichtig, will keinen Fußbreit von seinem Saum abgleiten, und wieder einmal kommt es ihm vor, als finge schon ein paar Zentimeter weiter links der Osten an, während wenige Schritte weiter rechts noch der Westen prangt. Diese schmale Straße ist der äußerste, noch ganz westliche Millimeter dieses Kontinents, einer der letzten Boulevards des untergehenden Abendlandes, mit seinen Auslagen nach Art des Bauhauses hinter den Schaufensterscheiben, das ganze soeben erst aus der Mode gekommene Warensortiment, das die westliche Welt entbehren kann, im Angebot. In dichtem Flockenwirbel fällt der Schnee, die Passanten streben drängelnd, wie aneinandergeklebt, vorwärts, ergriffen von der Vorfeiertagsatmosphäre dieser profanen Prozession. Die etwas zugeschneiten und grell gleißenden Auslagen preisen in verwirrender Fülle alles an, was im Westen gerade noch letzter Schrei war: das neueste Werk von Valéry, eine Delikatesse und Novität, die in Paris noch im vergangenen Frühling Tagesgespräch der noblen und eingeweihten Gesellschaftskreise gewesen ist, das Parfüm

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