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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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1. KAPITEL
Die Wiedergebur t von Dimple Rohitbhai Lal a der Letzte n
    Ich glaube, der ganze Schlamassel begann an meinem Geburtstag. Änderung: an meinem ersten Geburtstag. Ich kam nämlich verkehrt herum zur Welt, und angeblich hielt ich meinen Kopf derart seltsam mit den Händen fest, dass meine Mutter zwölf schmerzvolle Stunden lang Wehen ertragen musste, bis sie mich endlich herausge presst hatte.
    Meine Mutter hat gesagt, sie habe sich vorgestellt, dass ich dabei war, ein großes philosophisches Rätsel zu lösen – so wie Rodins Denker-Skulptur, die sie irgendwann bei einem Urlaub in Paris gesehen hat. Aber ich glaube, das war nur eine höfliche Umschreibung dafür, dass ich nichts begriff, wie sie fand. Verkehrt herum geboren und komplett ahnungslos. Mit anderen Worten: born confused .
    Ich kam also verkehrt herum zur Welt. Und habe seitdem alles verkehrt gemacht. Ich wünschte, es gebe eine Möglichkeit, wieder zurückzugehen und ganz von vorne anzufangen. Aber, wie meine Mutter sagt, man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.
    ★ ★ ★
    Dies würde der erste Tag vom Rest meines Lebens sein, hatte Gwyn mir auf dem Weg zur Schule verkündet. Ab heute lägen lange heiße Monate vor uns, in denen alles passieren könne – und passieren würde. Sie sagte das mit einem Augenzwinkern, sodass klar war, dass sie etwas im Schilde führte. Und so wie sie mich anlächelte, geheimnisvoll und listig zugleich, bedeutete sie mir, dass dies in jeder Hinsicht ein extrem heißer Sommer werden würde.
    Tatsächlich begann bereits an diesem Tag die Temperatur zu steigen, ohne ein absehbares Ende. Schon in der zweiten Stunde – wir hatten Geschichte – war mein Make-up zerlaufen, sogar der angeblich wasserfeste Abdeckstift; in der dritten klebten meine Oberschenkel aneinander; und in der vierten kehrte meine Dauerwelle, die eigentlich schon vor Monaten hätte rausgewachsen sein sollen, gründlichst zurück, und zwar in Form von kleinen Kringellöckchen über meiner Stirn. Vor dem kleinen Brunnen bildete sich eine Schlange, alle tranken das Wasser gierig aus dem Hahn, die Lippen direkt an der Öffnung. Meine Mutter sagt immer, das sei unhygienisch und sehr amerikanisch. In der fünften Stunde wurden alle Fenster aufgerissen, um doch kein Lüftchen hereinzulassen, und auf der Nase von Mr Linkhaus, unserem Physiklehrer, glänzte die ganze Stunde lang eine Schweiß perle, die kullerte, tänzelte, aber nie herunterfiel.
    Es scherte sich jedoch niemand darum. Die einzige physikalische Frage, die alle beschäftigte, war: Wie schnell schafft es ein beweglicher Körper zur Tür hinaus und hinein in die Sommerferien? Das heißt, alle außer mir.
    Nun stand ich also nach dem letzten Klingeln vor meinem Spind und starrte ins oberste Regal, in dem Chica Tikka lag, meine geliebte Kamera. Ich wartete auf Gwyn, die ein DS-Meeting (Dringendes Spind-Meeting) einberufen hatte – ein bisschen unnötig, wenn man bedachte, dass wir uns jeden Tag nach der Schule hier trafen. Sie würde Neuigkeiten für mich haben, was meistens der Fall war. Und ich würde mir ohne sie verloren vorkommen, was ebenfalls meistens der Fall war.
    In unserem kleinen Zweier-Team war ich »die andere« – also die, an die sich der Pizza-Bote schon zwei Sekunden nach seinem Besuch nicht mehr erinnert. Ich war das etwas zu pummelige, unbeholfene, ewig Fotos schießende Mauerblümchen, das seit kurzem nur noch Fragen stellte. Aber ich nehme mal an, dass jemand, der alle Antworten kennt, jemanden braucht, der die Fragen stellt, damit er seine Antworten auch loswird – und vielleicht war das der Grund, warum wir zwei zusammen waren.
    Gwyn hatte es einfach. Und ich hatte sie, was für mich das Wichtigste war. Sie hatte deshalb sogar den Großteil meines Spinds in Beschlag nehmen dürfen, was mir mal wieder auffiel, als ich meine eigenen paar Bücher und Hefte rausräumte. Der ganze Rest gehörte ihr. Wir teilten uns den Stauraum, seit ich diesen etwas zentraleren Spind in Gang A bekommen hatte. Zusätzlich zu ihren in Hochglanzpapier eingeschlagenen Büchern bewahrte sie hier ein Schminkköfferchen und ihr Haargel auf. An die Innenseite der Tür waren links und rechts von dem schwarz-weiß-grauen Foto eines schneebedeckten Berges in Yosemite, das mir Ketan Kaka geschickt hatte, eine Postkarte mit Marilyn Monroe, der gerade der Rock über einem Lüftungsschacht hochweht, und eine Kalorien tabelle angeklebt.
    Ich nahm Chica Tikka heraus und schaute auf den Zähler.

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