Ein Hund mit Charakter
Cave canem!
Achtung, werter Leser! Hier folgt eine Hundegeschichte. Eigentlich müßte man in Erfahrung bringen, welche Art von Schwäche es ist, die Schriftsteller, selbst die anspruchsvollsten unter ihnen, im Laufe ihres Schaffens gelegentlich dazu verleitet, dem Menschen, ihrem ewigen und erhabenen Modell, den Rücken zu kehren und die Aufmerksamkeit den weiter unten angesiedelten Statisten der Schöpfung zuzuwenden. Solche Lektüre fällt im Ton immer ein klein wenig herablassend aus. Der Dichter schaut gnädig und mit Wohlwollen hinab in die niederen Sphären des Lebens, vielleicht auch betroffen oder ernüchtert vom tragischen Spiel, das ihm in Augenhöhe von den zweibeinigen Geschöpfen geboten wird – doch auf jeden Fall blickt er huldvoll und mit Nachsicht in die Niederungen, wo von einer der unteren Rangstufen der kreatürlichen Welt dieser harmlose, primitive und ferne Verwandte, das Tier, mit wachen Augen zu ihm aufschaut. Ach ja, der Hund! … denkt er gönnerhaft. Läßt einen Pfiff ertönen und macht sich zu einem Spaziergang mit ihm auf.
Unterwegs, während der minderwertige Freund voraus- und zurückläuft, mit gesträubtem Fell, gespitzten Ohren und schwanzwedelnd, auf jeden Fall mit unbeschreiblichem Eifer und erregt, Umschau hält in der Welt, an einigen ihm vertrauten Baumstämmen feuchte Botschaften deponiert, da und dort an einer Mauerecke die Tagesnachrichten überfliegt, keimt im Schriftsteller der Verdacht auf, daß nun offenbar auch in seinem Leben der kritische Moment gekommen ist, die Versuchung, einen Hunderoman zu schreiben.
Der Schriftsteller – im bürgerlichen Dasein Journalist –, der sich diesen erhabenen Titel allenfalls in gewissen Augenblicken der Überheblichkeit zugesteht, registriert die Versuchung mit ungutem Gefühl und versucht sie zu verdrängen. Aha, der Hunderoman! … – denkt er wieder. Und dann: Es scheint, etwas stimmt nicht mit dir, wenn du tatsächlich einen Hunderoman schreiben willst. So gehen sie, der Hund und der Schriftsteller, gedankenversunken hinunter zur Generalswiese. Am Rand der achtstufigen Treppe – ebendort, wo der erlösende Moment eintritt, der Schriftsteller den Hund von der Leine läßt und dieser sich, einem Selbstmörder gleich, explosionsartig und mit einem einzigen Irrsinnssprung in die Tiefe stürzt, wie von einer Rakete getragen dem Rausch und der Verzückung der Bewegung hingegeben – bleibt der Schriftsteller stehen, schaut dem minderwertigen Freund hinterher, der sich von der Leidenschaft so sehr hat mitreißen lassen, steckt sich eine Zigarette an und schüttelt das Haupt. Jetzt ist ihm klar, der Moment ist da, und es ist unausweichlich, er muß einen Hunderoman schreiben. Das behagt ihm nicht. Eigentlich schlimm, für Menschliches bist du also zu feige – denkt er. Ja, das ist der Augenblick, ein geradezu historischer dazu – denkt er weiter –, wenn ein nicht gerade bedeutender Schriftsteller gar nichts anderes mehr, eben nur noch einen Hunderoman schreiben kann. Er fühlt, das ist die Krise. Bisher war er stets bemüht, redlich zu sein, sinnt er, ist den Menschen treu geblieben. Und jetzt hat er zum ersten Mal keine Lust, redlich zu sein und den Menschen treu zu bleiben.
Hm, einen Hunderoman, warum eigentlich nicht? … – sagt er sich, nun schon leichteren Herzens, als wäre ihm der Grund für eine neue fixe Idee jetzt klar geworden, schwingt sein Stöckchen und zieht die herbfeuchte Luft, die dumpf über der großen Wiese hängt, tief in die Lungen ein. Klassische Hunderomane, hochliterarische Beispiele gehen ihm durch den Kopf, und das dämpft seine erste Begeisterung etwas. Vielleicht ist es Pflichtvergessenheit, über einen Hund zu schreiben – sinnt er weiter –, wo doch so viel Pressierendes, Unaufschiebbares zu sagen wäre, das den Menschen betrifft … Doch dann sucht er Entschuldigungen, Gründe – das fällt ja nie schwer –, stellt die Sache so hin, daß bei dem Unterfangen nichts Genierliches, daß der Hunderoman in der Laufbahn des Schriftstellers gleichsam der Sonntag ist, wenn der Kreative ausruht, in seine Pantoffeln schlüpft und sich der leichten Unterhaltung hingibt, zum Beispiel Radio hört – oder einen Hunderoman schreibt. Der Schriftsteller kann nicht, weder im privaten Leben noch in seinem Metier, ständig in der Toga herumlaufen und tragische Gesten produzieren. Es ist so leicht und billig, derartiges zu behaupten, Begründungen zu suchen …
Doch jetzt, da er schon so weit gekommen
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