Ein Hund mit Charakter
– nachsichtig und mit pietätvoller Mißbilligung. Er war schon ein berüchtigter verdammter Kerl, der Verblichene; in der Christinenstadt leben noch ältere Menschen, die sich an ihn erinnern.
Im Haus hat seit einiger Zeit ein neuer Hund Tschutoras Platz eingenommen, Leine und Maulkorb von dem Abgetretenen geerbt; er wird King Jimmy gerufen, ist schneeweiß, empfindsam und zahm, stammt von der Urrasse des Haushundes, vom Finnischen Spitz, ab, läuft mit Vorliebe auf zwei Beinen, hat eine ganze Reihe vornehmer Namen in den Papieren, ist gehorsam und gutmütig, geht gern an der Leine, nach Wunsch auch über ein Seil, sogar mit rotem Sonnenschirm in der Pfote; eine feinsinnige und elegante Erscheinung, im allgemeinen präsentiert er sich als die Sanftmut in Person. Es würde schwerfallen, ihn nicht zu mögen.
Der Herr wundert sich selbst gelegentlich darüber, daß er ihn eigentlich nicht liebt. Und warum er, wenn er an Tschutora denkt, einen leichten Schlag verspürt, auch Sehnsucht und ein wenig Schmerz; trotz der Narben und der Spuren, die er und alle Mitbewohner als Andenken an das Tier auf ihren Händen tragen.
Er hegt den leisen Verdacht, daß ihm die trübe Erinnerung an Tschutora trotz der Bisse teurer ist als alle Tugenden des sanftmütigen, reizenden King Jimmy. Denn so wie er im Laufe des Lebens nach und nach seine Erfahrungen macht, stolpert, strauchelt und um den Preis von Enttäuschungen lernt, beginnt er zu verstehen, daß wir im allgemeinen nicht das Schöne, das Gute und die Tugendhaftigkeit lieben, sondern all das, was unterdrückt, nicht vollkommen, was gereizt ist und zähnefletschend streitet, alles, was nicht Sitte und Einverständnis bedeutet, sondern Makel und Protest.
Ja, das ist eine ziemlich bescheidene Lehre, lieber Leser, aber ausweichen kann man ihr nicht, weder in der Kunst noch im Leben. Und einen Hundebiß ist sie allemal wert.
Nachwort
Im Kampf bis aufs Blut ist der Roman zu seinem Ende gekommen – geweint hat nicht nur Tschutora.
Betroffen wird sich der Leser dem Epilog zuwenden, um zu erfahren, wie Herrn und Hund nach dem denkwürdigen Finale Abschied und Trennung berührt haben und was aus allen geworden ist.
Eigentlich kann man davon ausgehen, daß dem Lesen dieses Nachworts die Lektüre des Romans vorausgegangen ist; dennoch soll das Versprechen des aufgewühlten und schwer lädierten »Herrn« noch einmal in Erinnerung gerufen werden, das er dem übel zugerichteten Tschutora zum Abschied gegeben hat, nämlich »daß du lange keinen Nachfolger haben wirst, falls dich das tröstet … Ja, du warst etwas Besonderes, wie jedes Leben, dazu ein Charakter, eine Persönlichkeit …«
Zum Trost des Lesers sei gesagt, daß der »Herr« sich an dieses Versprechen gehalten hat, denn es dauerte wirklich, bis der in Márais Epilog erwähnte King Jimmy in der Familie Einzug gehalten hat.
Längst hatte sich das »Vergessen von Jahren« über die Ereignisse gelegt, heißt es, Tschutoras und seines bemerkenswerten Charakters ward nur noch »nachsichtig und mit pietätvoller Mißbilligung« gedacht. Jimmy, der schneeweiße Spitz mit Stammbaum, hat Leine und Halsband seines Vorgängers geerbt, er ist eine außerordentlich »elegante Erscheinung«, gibt sich lieb, sanft und gehorsam, so daß sich der »Herr« gelegentlich verwundert fragt, warum er ihn nicht lieben kann.
Trotz der Narben und der durchaus zwiespältigen Gefühle hegt er selbst »den leisen Verdacht, daß ihm die trübe Erinnerung an Tschutora teurer ist als alle Tugenden des […] reizenden King Jimmy«.
Der Roman findet so auf versöhnliche Weise seinen Abschluß – und sicher hat sich auch Tschutoras Hundeschicksal inzwischen friedlich erfüllt –, keineswegs am Ende aber war damit das bewegte Leben des »Herrn« und Hundehalters, in dem unschwer der Autor selbst zu erkennen ist:
In mehreren Tagebucheintragungen aus dem Jahr 1944 hat der »Herr« des Romans sich dann im Hinblick auf seine Gefühle für Jimmy, den »sanften Liebling«, auf sympathische Weise selbst Lügen gestraft: »Wenige Lebewesen sind mir in den vergangenen elf Jahren so ans Herz gewachsen wie dieses weiße Hündchen …« Und als auch dieses Hundeleben sich dem Ende nähert: »Er ist auf eine so kluge, vornehme Art krank! Hat sein Leben gelebt […] nimmt die Krankheit an und auch den Tod […] stumm und allein trägt er sein Schicksal …« An anderer Stelle: »Am letzten Abend in Leányfalu ließ ich den Tierarzt kommen und bat
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