Ein Hund mit Charakter
ihn, er möge meinen Hund Jimmy töten […] das Wanderleben hätte er nicht mehr durchgehalten. Mit Strychnin hat man ihn ausgelöscht, nach zwei Minuten war er tot. Er hatte ein nobles Wesen, und nobel ist er auch gestorben: hat sich hingestreckt in künstlerischer Pose, wie die Pawlowa oder Nijinsky am Ende eines Tanzes. Im Garten habe ich ihn begraben.« Zitiert sei dies zum Trost der Hundefreunde.
Ein Hund mit Charakter , 1930 verfaßt, ist der erste der für Márai so typischen Memoirenromane und ebenso autobiographisch geprägt wie Die jungen Rebellen , in denen das Alter ego des Autors als pubertierender Jüngling und aufbegehrender Abiturient im Mittelpunkt des Geschehens steht, und auch der Roman Doch blieb er ein Fremder , für den Márais bewegte Wanderjahre, seine Aufenthalte in Berlin und Paris den Stoff lieferten.
Doch kann die Geschichte des charaktervollen Hundes Tschutora geradezu als Musterbeispiel einer solchen Romankonzeption gelten, bei der Erlebtes und Selbsterfahrenes aus einem bestimmten Lebensabschnitt des Autors als Fundus dient, den Stoff liefert, den er mit den ihm eigenen gestalterischen und sprachlichen Mitteln und auf so nachdenkliche wie selbstironische Weise ins Szene setzt und zu Literatur werden läßt.
Dieses auch in späteren Werken oft praktizierte Schema ergab sich nicht zufällig und läßt schon gar nicht auf einen Mangel an künstlerischer Phantasie und Einfallsreichtum schließen, sondern war für Márai Programm. Schon zu Beginn seiner Autorenlaufbahn und noch unentschieden, ob er sich als Journalist oder als Schriftsteller verwirklichen werde, hat Márai sich – es ging um die Indiskretion in der Literatur – aufschlußreich über seine Absichten geäußert:
»Mich, der ich Journalist bin«, schreibt er, »bewegt schon seit langem der Plan, mit meinen journalistischen Mitteln ein Buch zu schreiben über meine Geburtsstadt, meine Kindheit, über meine ersten Erlebnisse, und im Zuge dieses Vorhabens in meiner Kindheit Fehler aufzuspüren, durch die mein Leben beeinträchtigt und in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde … – sofern es solche Fehler überhaupt gab –, das ist sicher keine neue literarische Idee, aber der arme Mann kocht eben mit Wasser, und bei wem es zu mehr nicht reicht, der soll sich, sofern er dieses Bedürfnis hat, damit zufriedengeben, ein Buch über das zu schreiben, was er erlebt, gesehen und erfahren hat …«
Daran hat sich Márai über weite Strecken seines literarischen Schaffens gehalten, auch dann, als er schon längst nicht mehr »mit Wasser kochte« und sich endgültig für die Literatur entschieden hatte: Unaufhörlich schöpfte er aus Selbsterlebtem.
Mit »Cave canem!«, der Warnung »Achtung! Bissiger Hund!«, die römische Bürger auf die Schwelle ihres Hauses schrieben, beginnt Márai den Roman. Er verfolgt damit ebensowenig die Absicht abzuschrecken, wie er mit dem provozierenden Hinweis »Achtung, werter Leser! Hier folgt eine Hundegeschichte« hundefreundliches und hundefeindliches Publikum auseinanderdividieren will, um sich ausschließlich an Liebhaber von Tiergeschichten zu wenden. Gemeint ist hier wie dort das Gegenteil!
Um doch irgendeiner Absicht auf die Spur zu kommen, belauschen wir den Autor beim vorgeblichen Ringen und Abwägen des Für und Wider einer Hunde- und Menschengeschichte:
»Nein, nur über die Idylle von Hund und Mensch zu referieren, das ist in der Tat eine wenig aufregende Sache … Aber wenn er [der Leser] sein Augenmerk ganz auf den Hund richtet, erfährt er vielleicht auch etwas über den Menschen. Und die Propheten werden dann schon erklären, was das Kleinbürgerliche daran ist, daß in einem historischen Augenblick, in dem der Mensch ein Hundeschicksal hat, jemand hoffen kann, über den Hund etwas von der augenblicklichen Lage der Menschen in der Welt zu erfahren.«
Die Tschutora-Geschichte ist kein Hunderoman oder doch viel mehr als das. Sie zeigt das Verhältnis Mensch–Tier unter einem ganz neuen Aspekt. Und wo sich bei der Entdeckung und Betrachtung der kleinen und der großen Welt die ursprüngliche Neugier des jungen Hundes und der nüchterne Intellekt des »Herrn« kreuzen, da ergeben sich ungewohnte Beurteilungskriterien und sowohl für den »Herrn« des Romans wie für die Leser eine neue, aufregende und kritische Sicht der Welt.
Márai hat den Roman nicht Tschutora zuliebe geschrieben, auch wenn sich scheinbar alles um den Hund dreht. Der kläfft, schnappt, verdreckt und
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