Ein Jahr – ein Leben
vielleicht gar nicht so großen Stoff, eine Kurzgeschichte zu verfilmen, und zwar die absolut gleiche Handlung in der absolut gleichen Inszenierung, gleiches Licht, gleiche Kameraeinstellung, alles gleich – mit verschiedenen Schauspielern in denselben Rollen.
Was reizt Sie daran?
Was ist das Eigene des Schauspielers, was genau fügt das Individuum hinzu? Was ist seine oder ihre Kraft, die eigene Interpretation? Das herauszufinden würde mich interessieren.
Haben Sie Lust, selbst Regie zu führen?
Ich werde manchmal gefragt, aber mein Respekt davor ist zu groß. Das ist ein eigener Beruf mit eigenen Regeln und Erfahrungen. Was mich interessieren würde, wäre dieses Experiment.
Das ja offenbar auch mit Ihrem Wunsch zu tun hat, das eigene Handwerk, die Schauspielerei, wirklich zu durchdringen.
Ja – was macht dich als Schauspieler aus, was genau? Was ist das Eigene, im besten Fall Unverwechselbare? Man sagt, Großaufnahmen kann man nicht inszenieren, eine Großaufnahme füllt das Bild – oder nicht. Wie kommt das?
Woher kommt es bei Ihnen?
Das kann man wohl nicht wirklich beantworten. Das ist auch ein Teil der Magie der Leinwand. Natürlich hat ein Gesicht mit Lebenserfahrung zu tun. Wenn ich heute in einer Rolle von emotionalen Einschüssen, von Schmerz, von Verlust erzählen muss, erzähle ich das anders, als ich es vor dreißig Jahren getan habe. Weil ich natürlich meine eigenen Einschüsse und Verletzungen habe. Ich habe eine größere Spielwiese meines eigenen Lebens zur Verfügung.
Wie kann man sich das vorstellen? Sie holen sich bestimmte Gefühle für bestimmte Momente beim Drehen aus Situationen Ihres privaten Lebens, auch wenn die nicht identisch sind?
Ich bringe nicht meine eigenen Verletzungen mit ein, aber ich bringe meine Fähigkeit mit ein, mit eigenen Verletzungen umzugehen, mal gut, mal nicht so gut, mal souverän, mal eher peinlich und manchmal sogar komisch. Wie das eben im Leben so ist.
Macht Ihnen das Drehen deshalb heutzutage mehr Freude als früher? Weil Sie merken: Mein Spektrum wird breiter?
Ich stelle tatsächlich erst in den letzten Jahren fest, was dieser Beruf für mich leisten kann. Damit meine ich nicht, dass ich ihn ausübe, um nicht zum Psychiater zu müssen. Dann müsste ihn ja die Krankenkasse finanzieren … ( lacht ) Aber sein Stellenwert in meinem Leben nimmt mehr Platz ein, als ich dachte.
Was unterscheidet die Iris Berben von heute von der jüngeren?
Am Anfang geht es doch vielen von uns so, dass wir denken: Die Regeln bestimme ich, ich will sagen, wie es geht! Mit der Zeit lernen wir, nein, nein, die Regeln bestimmen nicht wir, die Regeln gibt es schon. Das Einzige, was bleibt, ist: Welchen Regeln beuge ich mich und welchen nicht?
Welchen Regeln beugen Sie sich nicht mehr?
Ich habe ja beruflich nichts mehr, wohinter ich mich verstecken kann. Ich kann mich nicht mehr hinter Unwissenheit oder Ahnungslosigkeit verstecken und nicht mehr hinter finanziellen Nöten, die mich zwingen würden, Kompromisse einzugehen. Das Schöne ist: Je genauer du dich mit diesem Beruf auskennst, desto genauer kannst du dich ihm gegenüber verhalten. Mit bestimmten Leuten arbeiten: ja. Mit anderen: nein, bitte nicht mehr. Mancher Stoff, der mir angeboten wird, hätte mich vor zehn Jahren noch beflügelt. Heute sage ich nein, das habe ich in Varianten schon zu oft gespielt.
Und das schützt vor Fehlentscheidungen?
Ja, aber leider auch nicht immer. Manchmal passiert es mir doch. Und obwohl ich glaube, auf alles geachtet zu haben, was man meint gelernt und verstanden zu haben, merke ich plötzlich am Set, während der Dreharbeiten: O weh.
O weh? Was heißt das? Und wie stellen Sie das fest?
Es hat oft damit zu tun, dass ich merke, ich habe am Set keinen Komplizen. Es gibt kein Gegenüber, das mich so fordert, dass ich verunsichert bin. Ich meine nicht die Allüren bei manchen Regisseuren, sondern diejenigen, die mich reizen, mich herausfordern, einen unbekannten Weg zu suchen, um in mir einen Prozess auszulösen, der eine neue Umsetzung bringen könnte. Ich will mich auf dünnes Eis hinauswagen! Dass so was oft ausbleibt, hat aber nicht nur mit Filmemachern, sondern viel mit den äußeren Umständen beim Filmemachen zu tun. Wir haben immer weniger Zeit, weil wir immer weniger Geld haben, um die Arbeit zu machen, die mich, je älter ich werde, immer mehr interessiert.
Wofür genau braucht man eigentlich mehr Zeit beim Drehen?
Um auszuprobieren, um zu suchen, um Ideen auch wieder
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